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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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das Bonsaibäumchen mit den rot-weißen Blüten pflegen musste – die beiden Ausbildungsleiterinnen hatten es ihr zur Ankunft geschenkt –, anschließend erteilte sie ihr Anweisungen zur Versorgung der anderen Pflanzen im Garten.
    »Handwarm wässern?«, fragte Aurelia ungläubig. »Ich mache eine Gärtnerlehre?«
    »Für Fragen bin ich nicht zuständig«, erwiderte Florence.
    Jede Gerätschaft, die sie Aurelia gab, war lächerlich klein, als hätte Alice sie aus dem Garten im Wunderland hergebracht. Die Gießkanne hatte die Größe einer Teetasse, sodass Aurelia sie unentwegt auffüllen musste. Und mit der Heckenschere in Größe einer Nagelschere dauerte das Trimmen einer Einfriedung quälend lange und war eine mühselige Angelegenheit.
    Ärger und geisttötende Langeweile prägten Aurelias erste Tage. Sie wünschte, Madame Denoux oder diese namenlose Frau im grauen Kostüm ließen sich endlich blicken, damit sie ihnen die Meinung sagen könnte, aber entgegen ihrem Versprechen tauchte keine der beiden auf. Außer den mehrmals täglich erscheinenden Helferinnen hatte sie keine andere Gesellschaft als die Pflanzen, die sie hegte und pflegte.
    Am dritten oder vierten Tag wurde das gereizte Summen in ihrem Kopf leiser. Die Zeit ging ruhig dahin. Aurelia fing an, sich auf das morgendliche und abendliche Waschritual zu freuen, allein schon wegen des Kontakts zu anderen Menschen. Und sie liebte die Zeit, die sie im Garten arbeitete, weil sie ansonsten keinerlei Beschäftigung hatte und es die einzige Zeitspanne war, in der sie etwas sehen durfte.
    Sogar wenn sie gefüttert wurde, musste sie die Augen geschlossen halten. Zuerst hatte sie es frustrierend, demütigend und auch beängstigend gefunden, sich wie ein kleines Kind von anderen das Essen in den Mund schieben zu lassen. Ihre Arme hingen nutzlos herab, und jedes Mal, wenn sie merkte, dass sich wieder ein Löffel mit irgendwelchen Speisen ihren Lippen näherte, überkam sie noch der Drang, die Hand zu heben und ihn selbst an den Mund zu führen. Nur weniges, das man ihr gab, erkannte sie am Geschmack, ansonsten war es nichts, das sie normalerweise gegessen hätte.
    Leichte Suppen, die nach Rosenwasser schmeckten. Kleine Biskuitküchlein mit Litschiaroma, die auf der Zunge zergingen. Ein zähflüssiger Saft, der in der Kehle prickelte.
    Jede Mahlzeit hatte ihre eigene Wirkung, und seit Aurelia genug Zutrauen zu den fütternden Händen gefasst hatte, beobachtete sie, wie ihr Körper und ihre Stimmung darauf reagierten. Das Frühstück machte sie lebendiger denn je, die Abendessen entspannten sie, sodass sie gut einschlafen konnte.
    Doch kaum hatte sie sich daran gewöhnt, dass man sie füt terte, wurde ein Hundenapf vor sie gestellt, und man erwar tete, dass sie ihn ausschleckte. Ihre erste Reaktion war inneres Aufbegehren. Wie viele Menschen schauten mit an, wenn sie wie ein Tier aß? Würde man sie auslachen? Dennoch senkte sie brav den Kopf über den Napf und streckte zögernd die Zunge hinein. Der Eintopf schmeckte süß und würzig, ein bisschen wie Lakritze. Schließlich wurde es für sie normal, ihre Nahrung auf diese Weise zu sich zu nehmen.
    Ihr fiel auf, dass Granatäpfel nicht auf dem Speiseplan standen. Doch so entspannt und benommen sie die warmen, würzigen Getränke auch machten, die sie vor dem Zubettgehen bekam, sie wachte unweigerlich auf und wälzte sich unruhig hin und her, erfüllt von ihren Erinnerungen an Andrei. Manchmal weckte sie sogar das Herz an ihrer Scham, weil es brannte, und sie stellte fest, dass sie im Schlaf einen Orgasmus gehabt hatte.
    So vergingen die Tage und Nächte. Aurelia hatte aufgehört, sie zu zählen. Noch mehr Tattoos erschienen auf ihrer Haut, obwohl ihr jede sexuelle Begegnung verwehrt blieb und sie ihre Klitoris nur mit den eigenen, geübten Fingerspitzen streicheln konnte. Während ihrer vielen müßigen Stunden dachte sie oft an Siv und fragte sich, wo sie wohl sein mochte. War sie noch beim Ball? Zusammen mit Walter? Auf Reisen?
    Gelegentlich plagten sie auch ungebetene Gedanken an Tristan, der mit seiner dunklen Seite so anziehend auf sie gewirkt hatte. Zwar versuchte sie, die Bilder von ihm durch ihre Erinnerungen an Andrei zu ersetzen, doch oft wollte ihr das nicht gelingen.
    Eines Morgens war sie ganz in die Schönheit der sich öffnenden rot-weißen Blütenblätter versunken, als sich ein Trio aus blass rosa Blüten auf der Innenseite ihres noch ungezeichneten Handgelenks zeigte. An einem anderen Tag spürte

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