Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)
schloss sich mit Mary Alice ein, dann musste ich auf die Kinder aufpassen. Mit ihnen nach draußen gehen, irgendwohin. Es gab da einen kümmerlichen kleinen Park.
Das Chillicothe der Shawnees lag nie genau da, wo der heutige Ort ist. Chillicothe war überall dort, wo der Anführer des Stammes lebte, deshalb schwebte es ständig umher wie ein dunkler Traum. Die Shawnee-Frauen beschmierten ihre Gefangenen mit Asche, fügten ihnen Brandwunden zu und pfählten sie, ehe sie sie töteten. Sie zogen ihnen kleine Hautstreifen von den Armen oder Beinen, um festzustellen, wie gut sie Schmerzen ertragen konnten. Vielleicht taten sie auch nichts dergleichen, und Terrell behauptete es nur.
Schließlich fuhr ich wieder nach Westen. Richtung Küste. Ich konnte nicht bei Terrell bleiben. Und das nicht nur, weil sie mich nicht da haben wollten. Ich sah ein, dass es nie wieder so werden könnte, wie es mal gewesen war. Die Kinder waren eben bloß Kinder, und Mary Alice fügte sich anders, als ich das getan hatte. Wo ich gelernt hatte, auf den Schmerz zuzujagen wie ein Hai, wimmerte sie bloß unglücklich.
Ein Opfer. Sie hatte sich zum Opfer gemacht. Terrell wollte kein Gegenüber mehr.
72
Als es vorbei war und wir das Haus verließen, hielten wir irgendwo ein gutes Stück entfernt an, weil wir in einem Vorgarten einen Wasserschlauch liegen sahen. Ted hielt ihn hoch über uns wie eine Dusche, richtete ihn dann auf sich selbst und fing anschließend an, die blutigen Handabdrücke auf den weißen Seitenteilen des Wagens abzuspritzen, doch dann kam ein Typ aus dem Haus nebenan, und wir hauten ab.
Also waren wir wieder im Auto, mit Ted am Steuer. Ich weiß nicht, wo wir waren – eine Gegend ohne Straßenbeleuchtung. Ich überlegte, dass er wahrscheinlich nicht genug Zeit gehabt hatte, um den Wagen richtig sauber zu kriegen, und außerdem gab es noch mehr zu tun, dachte ich benommen, erschöpft – wir mussten die blutigen Klamotten und die Messer loswerden.
Laurel sank gegen mich, ihr Atem kam in keuchenden Stößen, wie beim Laufen oder beim Sex, wie bei irgendeiner anstrengenden Betätigung. Ich wünschte, das Geräusch würde aufhören, und ich wünschte, Creamy würde aufhören, darüber zu jammern, dass sie sich die Hand geprellt hatte. Ich hatte auch meine geprellt. Ich glaube, wir alle hatten das. Die blöden Buck-Messer hatten keinen Handschutz, und wenn man wie wahnsinnig zustach und zustach und zustach, prallte die Handkante immer wieder gegen Knochen.
Straßenlampen tasteten sich rhythmisch durch das Innere des Wagens, ein pulsierendes Leuchten. In den regelmäßigen Lichtblitzen sah ich meine schmerzende Hand auf meinem Knie liegen wie einen toten Vogel. Ich bedauerte nichts, aber ich weiß noch, dass mir meine Hand leidtat, als hätte sie aufgehört, ein Teil von mir zu sein. Als hätte nicht sie etwas getan, sondern als wäre ihr etwas geschehen.
73
Ich flocht den Lorbeerkranz für Laurel und setzte ihn auf ihre zimtbraune Haarkrone. Das Grün der Blätter war zunächst noch frisch und leuchtend, dann verdorrte es in der sengenden Hitze der Wüste allmählich zu einem spröden Grau. In jenen Tagen schien sie kaum etwas anderes zu tragen: den Kranz, ein Hängerkleid; sie ging barfuß, bis auch ihre Fersen verdorrten und aufrissen und bluteten und wieder trockneten, ohne dass sie es bemerkte.
Alle waren vereint in Wein und Rauch und Gesang und Geschrei. Da war nicht nur trockener Wüstenboden, verkrustet mit Blut. In verborgenen Fugen, wo Wasser unter den Fällen floss, gab es hohe Bäume und Gras und manchmal ein paar bleiche, nach Moschus riechende, nächtlich blühende Blumen. Laurel kannte diese Stellen, und sie wusste, wo uralte Weinreben wie Taue aus den Bäumen hingen. Nachts, wenn wir den Hunden des Aktaion davonliefen, landeten wir manchmal dort, schaukelten in den Schlingen alter Ranken,
haarig wie ein Affenschwanz
, wie Laurel zwischen den Silberlauten ihres Lachens sagte. Wir schwangen im Tandem, gegenläufig, gleich schnell, sodass Laurel nach vorne sauste, wenn ich zurückflog. Und einmal blickte ich durch einen kleinen Riss in der Zeit in meine halbmenschliche Kindheit, wo das Mädchen, das ich gewesen war, auf einer Schaukel zwischen Metallrohren schwang, die auf halbem Weg zwischen Haus und Garage in die Erde geschraubt waren. Die Bewegung beruhigte das Mädchen, betäubte es, wusch seinen Geist rein, bis nichts mehr wichtig war, gar nichts, und es nicht mal mehr das schwarze Auge des
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