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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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An der offenen Hintertür schien Stitch zu zögern. Sie stand mit dem Rücken zu mir, aber ich spürte, dass sie D. fragend ansah. Es war früher Abend oder schon später, die ersten Sterne zeigten sich am indigoblauen Himmel, jenseits der dürren Bergzähne.
    D. schüttelte den Kopf und trat freundlich auf Stitch zu. Er schob eine Fingerspitze in den Bund ihrer Hose.
    »Schreib was, wenn ihr fertig seid«, sagte er. »Stitch-Witch. Du wirst schon wissen, was.«

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    Außer dem Gewehrkoffer hatte ich einen praktischen Satz Bolzenschneider im Kofferraum und in meiner Handtasche ein Teppichmesser, das ich seit dem Tag, als die Flugzeuge in die Türme geflogen waren, aus sentimentalen Gründen mit mir herumtrug. Ich konnte mich selbst ein bisschen damit ritzen, manchmal, wenn ich Langeweile hatte, ganz diskret, innen am Oberarm oder in der Mulde unter dem Hüftknochen.
    Abgesehen davon hatte ich nichts dabei. Nur Kreditkarten in der Handtasche und ein bisschen Bares. Es war mir unklug erschienen, in den Wohnwagen zu gehen.
    Was würde Pauley machen, überlegte ich hektisch, während ich auf der 93 Richtung Süden fuhr. Früher hatte ich mal gewusst, wie man Autos klaute, aber die Autos des 21. Jahrhunderts waren zu kompliziert. Computerchips, Alarmanlagen, das ganze Zeug.
    Ich hielt an einer Diskothek in der Nähe der I-40, auf einem riesigen Parkplatz. Bassklänge wummerten aus dem fensterlosen Bunker. Die Chancen standen gut, dass so bald keiner rauskam. Zweimal brach ich die Spitze des Teppichmessers ab, als ich mein Nummernschild gegen das des Wagens neben meinem austauschte, aber das machte nichts – ich hatte noch jede Menge Ersatzklingen.

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    Seit O. nicht mehr da war, ließ sich seine Gitarre nicht mehr spielen. Als hätte sie immer nur die musikalischen Möglichkeiten gehabt, die er ihr eingehaucht hatte. Ohne ihn war sie tot, vollkommen.
    Laurel nahm sie in die Hand, probierte sie aus. Sie konnte ein bisschen spielen. Das war eine ihrer Fähigkeiten, wie tanzen. Doch diesmal nicht. Das Ding war bloß noch ein Haufen Holz und Draht. Es hätte auch ein unpraktischer, übergroßer Käseschneider sein können.
    Zerschmetterten wir sie dann in unserer Raserei, verwandelten sie in Splitter und schneidende Drahtknäuel? Vielleicht gaben wir auch auf, gingen einfach weg, ließen sie auf dem ungemachten Motelbett liegen, um ihre letzte Dissonanz nachklingen zu lassen.

68
    Schon einen Tag später rief Pauley an. Oder besser gesagt, eine Nacht später. Ich hatte es für ratsam gehalten, mich tagsüber zu verkriechen, meinen Wagen auf der Rückseite eines Motels zu parken, wo er vom Highway aus nicht zu sehen war. In der Abenddämmerung brach ich wieder auf. Ich war in Oklahoma oder Kansas, als mein Telefon klingelte; es spielt keine Rolle, wo genau. Das gleiche glatte schwarze Asphaltband entrollte sich vor mir endlos in der Dunkelheit.
    »Mae …« Pauleys Stimme prickelte mir im Ohr. Ich fand sie irgendwie angenehm, wie wenn einen die Schnurrbarthaare eines Kätzchens kitzeln.
    Ich gab irgendeinen wohligen Laut von mir, und seine Stimme wurde härter.
    »Was hast du gemacht?«
    Ich antwortete nicht, aber das Räderwerk in meinem Kopf lief heiß. Was wusste er? Es waren kaum vierundzwanzig Stunden vergangen. Okay, wahrscheinlich war der Tote vor meinem Wohnwagen gefunden worden. Mit ziemlicher Sicherheit ein Polizeibeamter. Und ich, das
Ich
, das im Kasino arbeitete und anonym in der Wohnwagensiedlung lebte, war verschwunden. Und was ergab sich daraus? Und wie hatte Pauley so schnell davon erfahren? Natürlich war es sein Beruf, dergleichen zu erfahren.
    »Mae …« Etwas Gepresstes lag in seiner Stimme und wurde noch stärker. »Ich dachte, du wolltest mit dem Ding bloß auf Schlangen schießen.«
    »Er war ein Herumtreiber.« Das hätte ich wahrscheinlich nicht sagen sollen. Pauley war mit Sicherheit besser informiert. »Du weißt schon, ein Spanner.«
    »Er war beim FBI, verdammte Scheiße!« Die Stimme sirrte in meinem Ohr wie eine Biene. Ich trat aufs Gas, und der Wagen machte einen Satz. Ich war hier draußen allein auf der Straße und konnte nichts sehen außer den zwei Linien, die meine Spur begrenzten und im Kegel der Scheinwerfer vorbeirasten. Na und? War es schon überall in den Nachrichten, oder hatte Pauley durch seine besonderen Kanäle davon erfahren?
    Er war noch immer da, am Rande meines Ohrs, schwieg aber für einen Moment. Mir fiel ein, dass ich immer dachte, Pauley wäre tot, wenn ich länger

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