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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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Palmwedel schwanken. Mit einem Ächzen sprang Ted über den Graben, klopfte sich die Hände an seiner schäbigen Jeans ab und kletterte den Telefonmast hoch. Mittlerweile waren wir alle aus dem Wagen gestiegen und reckten die Hälse. Die Nacht war klar, und es waren Sterne zu sehen, aber die Dunkelheit um uns herum schien samtig und undurchdringlich; es brannten keine Straßenlampen oder Lichter von Häusern in der Nähe. Es dauerte einen Moment, bis die Augen sich angepasst hatten, bis sie Teds Silhouette oben an dem Mast ausmachten, gekrümmt wie ein Affe, der Kokosnüsse stibitzt.
    Dann rutschte er wieder runter, richtete sich auf und zeigte uns ein kleines gewundenes Stück Telefondraht, als würde das etwas beweisen. Creamy zuckte die Achseln, und Ted warf das Knäuel in den Graben.
    Stitch war wieder am Fuß der Einfahrt aufgetaucht, die nackten Füße wirkten gespenstisch auf dem schwarzen Teer. Sie signalisierte uns, dass die Leute da oben keinen Hund hatten.

70
    Ich warf das Telefon dann doch aus dem Fenster, weil ich auf einmal das Gefühl hatte, es loswerden zu müssen, als würde irgendein Spionagegerät darin stecken und wie ein Leuchtturm meine Feinde zu mir führen. Ich war völlig allein auf dem Highway; ich riss den Wagen zu einer Hundertachtziggradwende herum und landete auf dem grasbewachsenen Mittelstreifen mit Blick in die Richtung, aus der ich gekommen war. Das Telefondisplay leuchtete rund hundert Meter vor mir noch immer auf der Straße.
    Ich holte das Gewehr aus dem Kofferraum, zielte, die Ellbogen auf das Wagendach gestützt. Wieder das Niesgeräusch. Mit einem leisen Plopp verschwand das Licht des Telefondisplays.
    Streck die Hand aus und berühre es, wenn du kannst.
    Ein einsamer Wagen fuhr auf der anderen Fahrbahn vorbei und mit ihm ein dunkler Luftzug und Scheinwerferkegel, die nach Westen davonzogen.
    Nein, dachte ich, an Pauley gerichtet oder an wen auch immer. Oder an niemanden. Du kennst mich nicht.
    Der Wagen schien trotz der rabiaten Behandlung unbeschädigt zu sein. Ich lenkte ihn mit Schwung wieder auf die Straße und fuhr weiter.

71
    Irgendwann nachdem alles zu Ende war, nach der Razzia auf der Ranch, als D. und die anderen ins Gefängnis geschleppt worden waren, kehrte ich zu meinem Bruder zurück.
    Chillicothe, oben am Scioto River, war vor zweihundert Jahren ein Shawnee-Dorf gewesen. Wie ich von Terrell wusste, hatten sie Daniel Boone hier gefangen gehalten. Vielleicht war er deshalb dorthin gezogen. Oder weil er da einen Job bekommen hatte, in der Papiermühle oder in der Hundefutterfabrik, irgendwas in der Art. Oder weil er nicht mehr zu Hause sein konnte, nachdem er aus Laos und Kambodscha und Vietnam zurückgekommen war.
    Ich konnte auch nicht nach Hause, aber ich musste irgendwohin. Man kann nicht behaupten, dass sie besonders froh waren, mich zu sehen. Mary Alice war mit ihren Bälgern beschäftigt, inzwischen waren es zwei. Meine Nichte und mein Neffe – wie hießen sie noch mal? Billy und Bobbi. Bobbi war das Mädchen – sie schrieben es mit i. Sie krochen im Fernsehzimmer herum wie fette, leicht klebrige Raupen.
    Und dann kam der Prozess im Fernsehen. Das heißt, Kameras waren in den Gerichtssälen noch verboten, daher gab es nur Zeichnungen. Und Filmaufnahmen von den Mädchen an der Ecke vor dem Gerichtsgebäude, aber natürlich können das keinesfalls Creamy, Crunchy und Stitch gewesen sein, weil die drinnen waren, als Angeklagte, zusammen mit D. Es war bloß eine Handvoll anderer Mädchen, die genauso aussahen wie sie und sich genauso benahmen, so ununterscheidbar wie Insektenlarven.
    Terrell gefiel die Geschichte natürlich, und Mary Alice fand sie furchtbar, aber sie sah sich immer alles an, wie ein Vogel, der von einer Schlange hypnotisiert ist. Wir schauten es uns abends gemeinsam an, aßen dabei Fertiggerichte von unseren Tabletts. Selbstverständlich sagte ich nie etwas, wie auch? Aber ich wünschte mir doch, sie hätten es gewusst.
    Ich bring dich um, wenn du’s wem erzählst
.
    Der Krieg hatte Terrell fertiggemacht, und damit meine ich, er hatte ihn vervollkommnet. Terrell war mit einer Sammlung verschrumpelter Ohren zurückgekommen, die er auf eine Schnur gezogen und an die Innenseite des Kleiderschranks gehängt hatte, wo man normalerweise die Krawatten aufbewahrt. Außerdem mit zwei Tapferkeitsmedaillen und einer Abhängigkeit von harten Drogen. Wenn er nicht arbeitete, fuhr er oft nach Columbus oder Dayton, um sich Stoff zu besorgen. Oder er

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