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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan von der Bank
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angespleißt war. Den Knoten knüpfte er so, dass ein etwa eineinhalb Meter langes, loses Ende übrig blieb.
    Dann hastete er zurück in den Bug.
    »Ich geh runter und schneide ihn los!«, schrie er dem Segelmacher ins Ohr. »Wenn wir abtreiben, müssen Sie das Großsegel herunterrauschen lassen!«
    »Bist du wahnsinnig, Junge?«, brüllte Rausch entsetzt zurück. »Im Dunkeln finden wir euch nie wieder. Ihr werdet beide ersaufen!«
    »Das hier ist das Großfall!«, rief Ole und zeigte Rausch das lose Ende der Leine. »Lassen Sie das Großsegel ausrauschen! Das Gewicht wird uns an Bord ziehen!«
    Rausch blinzelte Ole entgeistert an.
    Dann verstand er, worum es Ole ging, und nickte.
    »Du bist genauso wahnsinnig wie der Alte da hinten am Ruder.«
    Ole sah ihn nur grimmig an, befestigte seine Sicherheitsleine an der gleichen Stelle, an der auch Richards Karabiner hing, und zog das Takelmesser seines Großvaters unter dem Ölzeug hervor.
    Sieh zu, dass du es nie verlierst, hörte er seinen Vater sagen. Hastig knotete er sich die Schnur, mit der es zuvor am Gürtel befestigt war, ums Handgelenk.
    Dann rutschte er über den Bug ins Wasser.
    Zwar hatte der Konteradmiral beim Ruf »Mann über Bord« die Yacht sofort zum Wind hin anluven lassen, um die Fahrt zu verringern, aber trotzdem war die Skagerrak noch immer erschreckend schnell. Sofort wurde Ole von der Wucht des vorbeirauschenden Wassers erfasst, und der Brustgurt seiner Schwimmweste schnitt ihm beinahe die Luft ab. Ebenso plötzlich wurde er mit Macht gegen den Rumpf geschleudert. Und gegen Richard. Instinktiv packte er zu und klammerte sich an ihm fest.
    Von der nächsten Welle wurde er unter Wasser gerissen, den Auftriebskörpern seiner Schwimmweste zum Trotz. Nur nicht loslassen, dachte Ole verzweifelt.
    Nach langen Sekunden tauchte er wieder auf, holte tief Luft und versuchte, das lose Ende des Großfalls an Richards Rettungsweste zu befestigen. Doch die Strömung und die Wucht der nächsten Wellen waren zu stark. Immer wieder wurde ihm das Fall entrissen.
    Erst beim dritten Versuch, als sich der Bug für einen langen Moment aus dem Wasser hob, konnte er eine Schlaufe um Richards Körper werfen. Dann klatschten sie beide ins Wasser zurück.
    An einen vernünftigen Knoten war unter diesen Umständen nicht zu denken. Also wickelte Ole das Fall einfach mehrfach um den Brustgurt seiner Schwimmweste, setzte zwei halbe Schläge darauf und umschloss das lose Ende zusätzlich fest mit der Faust.
    Nun hatte er Richards Körper und seinen eigenen aneinandergebunden. Doch das Schwierigste stand ihm noch bevor: ihrer beide Sicherheitsleinen zu kappen.
    Inzwischen hatte auch Ole mehrere schmerzhafte Schläge des Rumpfes gegen Kopf und Schulter einstecken müssen, und sein linker Arm fühlte sich seltsam taub an. Auch hatte er schon reichlich Salzwasser geschluckt und gallige Übelkeit stieg in ihm auf. Er hustete und würgte und wurde sich urplötzlich bewusst, dass er genauso gut hier vorne mit Richard sterben konnte, wenn es ihm nicht gelang, ihre Sicherheitsleinen zu durchschneiden. Oder wenn er das Taschenmesser verlor.
    Das Messer!
    Verzweifelt tastete Ole nach dem Bändsel an seinem Handgelenk. Großvaters Messer war noch da!
    Er wartete die nächste Welle ab, die ihn und Richard aus dem Wasser zog, dann hob er das Messer an den Mund und klappte mit den Zähnen die Klinge heraus.
    Welche der beiden Leinen sollte er zuerst zerschneiden? Seine eigene? Bloß nicht! Er würde nach unten sacken und nicht mehr an Richards Leine herankommen.
    Mit drei schnellen Schnitten hatte er Richards Leine durchtrennt. Sofort sackte der bewusstlose Körper einen halben Meter nach unten, bis er mit seinem vollen Gewicht in der Schlaufe hing, die Ole um ihn herumgelegt hatte. Ole fluchte, als er merkte, dass er sich nun kaum noch bewegen konnte.
    Dann wurden sie beide wieder unter Wasser gedrückt. Diesmal war es kaum zum Aushalten, und Ole meinte tatsächlich ertrinken zu müssen.
    Doch endlich hob eine weitere Welle den Bug. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung riss Ole den Arm mit dem Messer nach oben und durchschnitt seine eigene Sicherungsleine.
    Sofort ließ der Druck um seine Brust nach, und die See trug sie beide, Richard und ihn, aneinandergebunden davon. Ole meinte, den Rumpf der Yacht an sich vorbeirauschen zu spüren, und in einem kurzen Moment der Panik glaubte er, achteraus in der schwarzen Unendlichkeit der See verloren zu gehen. Bis er sich an das rettende Tau

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