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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan von der Bank
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enttäuscht. Zu real war seine traumhafte Begegnung mit Lina gewesen. So real, dass er sich tatsächlich suchend nach ihr umsah, als der Konteradmiral ihm aus der Koje auf die zittrigen Beine half. Was hatte er erwartet? Dass sie tatsächlich hinter von Wellersdorff auf dem Sofa sitzen würde? Oder, noch besser, dass plötzlich ihr hübscher Meerjungfrauenschwanz hinter dem zugezogenen Vorhang der zweiten Koje hervorrutschte, die sich auf der anderen Seite der Achterkammer befand?
    Nein, sie war und blieb ein Traumgespinst.
    Die frische Luft, die ihn an Deck empfing, nachdem er die Admiralskammer verlassen hatte, und der bittere Geschmack des heißen Kaffees, den ihm Rausch gebracht hatte, halfen Ole, seine wirren Erinnerungen an die vergangene Nacht und an seine vermeintliche Begegnung mit Lina wenigstens ein Stück weit zu verdrängen.
    Langsam wurde es heller, und Ole ließ den Blick über das Meer schweifen.
    Inzwischen war das wilde Tier müde geworden. Der Atem seiner Dünung ging flacher, die Klauen seiner Brecher waren stumpf geworden, und nur vereinzelt sträubte sich sein Schuppenpanzer noch in einer dunkel geriffelten Windbö. Stattdessen war etwas anderes hinzugekommen. Eine Bewegung unter der Oberfläche, entgegen der Windrichtung, wie ein Echo, das, von einem fernen Hindernis nach hinten geworfen, zu seiner Schallquelle zurückläuft. Obwohl es noch außer Sichtweite lag, wusste Ole genau, welches Hindernis diesen Schwell hervorrief: die Felsen einer nicht mehr allzu fernen Küste.
    »Du fragst dich sicher, wohin wir eigentlich segeln?«
    Ole hob überrascht den Kopf, als von Wellersdorff sich unvermittelt neben ihn an Deck setzte.
    »Schweden?«, fragte Ole zurück.
    Der Konteradmiral nickte und zog, genau wie Ole, die Beine an den Oberkörper.
    »Marstrand, um genau zu sein.«
    Ein paar Kadetten, die in der Nähe saßen, nahmen die unerwartete Vertraulichkeit wahr, die von Wellersdorff Ole gegenüber zeigte, und zogen sich vorsichtshalber außer Hörweite zurück.
    Ole wartete. Doch eine Erklärung, warum sie den kleinen schwedischen Schärenort etwa 30 Meilen nördlich von Göteborg anliefen, blieb aus. Ebenso eine wie auch immer geartete Reaktion auf Richards nächtlichen Unfall und Oles waghalsige Rettungsaktion.
    Stattdessen fing von Wellersdorff von etwas gänzlich anderem an.
    »Erinnerst du dich noch an unseren Start bei der WM, als wir die Parade abgenommen haben?«
    Ole war ebenso überrascht wie verwirrt. Natürlich erinnerte er sich! Er würde sein Lebtag nicht vergessen, wie sie gewendet hatten, den nachfolgenden, vorfahrtsberechtigten Schiffen einfach vor dem Bug hindurchgekreuzt waren und damit einen entscheidenden Vorteil errungen hatten. Aber was hatte das hier und jetzt verloren?
    »Du erinnerst dich hoffentlich auch, dass wir für dieses Himmelfahrtsmanöver einen triftigen Grund hatten?«
    Der Konteradmiral sah ihn prüfend von der Seite an, und Ole war dankbar, dass ihm eine Antwort einfiel.
    »Der Wind hat ungünstig gedreht?«
    »Richtig. Aber die anderen Boote auf unserer Seite, Weise, Straulino und die anderen, machten keinerlei Anstalten, zu wenden und zu versuchen, auf die richtige Seite hinüberzukommen, oder?«
    Ole schüttelte den Kopf. Von Wellersdorffs Gesicht verfinsterte sich mit einem Male und seine Stimme wurde hart.
    »Siehst du, und genau das ist das Elend! Entweder die Leute sind dumm und verstehen nicht, dass sie in die falsche Richtung segeln, oder sie wissen es, sind aber zu feige und scheuen eine Konfrontation, weil hinter ihnen ja auch wieder Boote segeln, die ihnen in gleicher Dummheit oder Feigheit die Vorfahrt abverlangen werden. Das Ergebnis ist das gleiche: Keiner geht auf den richtigen Kurs, und so segeln alle weiter in die Irre.«
    Der Konteradmiral machte eine lange Pause und starrte auf die Wellen hinaus. Vielleicht wollte er Ole auch die Chance geben, das Gehörte zu verstehen. Dann fuhr er fort:
    »Ich glaube, eine Segelregatta ist eine perfekte Parabel für das Leben. Es gibt einen Start und ein Ziel, es gibt Verlierer und Gewinner, und letztlich ist derjenige vorne, der rechtzeitig die Winddreher erkennt.«
    Ole bemerkte von Wellersdorffs eisgraue Augen, die ihn durchdringend anblickten.
    »Wenn du siehst, dass die Dinge in eine falsche …«, er korrigierte sich, »… in eine perverse Richtung zu laufen beginnen, musst du den Mut haben, deinen Kurs zu wechseln. Du musst eine riskante oder schmerzhafte Entscheidung treffen und notfalls alleine

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