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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan von der Bank
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schlagenden Vorsegels in der schmalen, auf und nieder stampfenden Bugspitze war die mit Abstand gefährlichste Aufgabe beim Segelbergen. Besonders bei Dunkelheit und Seegang. Normalerweise wurde sie daher auch von mindestens zwei oder drei Mann erledigt.
    »Allein?«, fragte Rausch zurück.
    »Allein!«, antwortete von Wellersdorff kühl. »Als Strafe für das verlorene Dingi!«
    Auch Richard war sichtlich geschockt. Im Schein der zum Segelbergen eingeschalteten Decksbeleuchtung konnte Ole sein Gesicht erkennen. Zunächst lag ein Ausdruck von ungläubiger Überraschung darin, der sich jedoch schnell in etwas verwandelte, das Ole nicht so einfach einordnen konnte. Es konnte ebenso gut Angst sein wie Hass.
    Dann klinkte Richard die Sicherungsleine seiner Rettungsweste in das nach vorne laufende Strecktau ein und verschwand in den Bug.
    Das empfindlichere Fliegersegel musste als Erstes gesichert werden. Mit ohrenbetäubendem Knattern des Tuches rutschte es am vorderen der beiden Vorstage hinunter an Deck.
    Von seiner Position am Mast aus, wo er gerade das zum Setzen und Bergen des Großsegels notwendige Fall bereitlegte, konnte Ole sehen, wie Richard vorne im Bug mit dem störrischen, wild schlagenden Tuch des Vorsegels kämpfte.
    In diesem Moment rollten mehrere große Wellen aus der Dunkelheit heran und ließen die Yacht wild auf und nieder stampfen. Der Kamm der dritten Welle brach sich genau auf der Bugspitze, und plötzlich war Richard verschwunden.
    Zuerst dachte Ole, sein Freund habe sich unter das Segel geduckt, um der Wucht der Welle zu entgehen. Aber dann durchfuhr ihn ein heißer Stoß Adrenalin, und er wusste, was geschehen war.
    »Mann über Bord!«, schrie er aus voller Lunge nach achtern und hörte, wie sein Ruf aufgenommen und mehrfach wiederholt wurde.
    Fieberhaft ließ Ole den Karabiner seiner Sicherungsleine in das Strecktau einschnappen und hastete daran entlang in den Bug.
    Auch Richard musste noch an seiner Sicherungsleine mit dem Schiff verbunden sein.
    Als sich Ole an dem wie wild um sich schlagenden Vorsegel, das Richard hatte festbinden sollen, vorbeigekämpft hatte, entdeckte er den Karabinerhaken von Richards Sicherungsleine am Vorstag.
    Ole legte sich flach auf den Bauch und schob sich über den Rand des Bugs. Mehr als einen Meter unter ihm, am anderen Ende der Sicherungsleine, konnte Ole Richards blonden Schopf in der Dunkelheit erkennen. Die Haare klebten ihm vor dem Gesicht, und Ole konnte nicht erkennen, ob er die Augen geöffnet hatte. Aber so willenlos und schlaff, wie er in seiner Rettungsweste baumelte und den Kopf zur Seite hängen ließ, konnte er nur bewusstlos sein. Mit jeder neuen Welle, in die der Bug hineinschnitt, wurde er komplett vom vorbeirauschenden Wasser und fahlem Schaum verschluckt, nur um beim Wiederauftauchen mit hässlichem Klatschen gegen die Bordwand geschleudert zu werden.
    Ole versuchte verzweifelt, mit ausgestrecktem Arm Richards Ölzeug zu fassen zu bekommen. Vergeblich. Das Einzige, was er erreichen konnte, war die Sicherungsleine. Und die war viel zu stramm, als dass er daran das Gewicht des Körpers hätte heben können.
    Dann waren Heribert Rausch und zwei weitere Mann bei ihm. Während die Kadetten das Vorsegel bändigten, das mit seinem wilden Hinundherschlagen auch die Helfer bedrohte, versuchten Ole und der Segelmachermeister mit vereinten Kräften, Richard an seiner Leine hochzuziehen. Doch jede neue Welle, die mächtig von unten an dem leblosen Körper zerrte, riss ihnen das Gewicht wieder aus den Händen, und Richard prallte mit Kopf und Schulter gegen den Rumpf zurück.
    »Wir müssen ihn da wegkriegen!«, schrie Rausch Ole ins Ohr. »Sonst schlägt der Bug ihm den Schädel ein!«
    Oder er ersäuft vorher, dachte Ole und überlegte fieberhaft.
    Abermals prallte Richards Körper mit dumpfem Klatschen gegen die Bordwand, und ihm wurde klar, wie wenig Zeit ihnen blieb.
    Für mehr als zwei Männer, die Richard heben konnten, war in der schmalen Bugspitze einfach kein Platz. Also musste jemand hinunter, um eine Bergungsleine an ihm zu befestigen.
    Plötzlich kam Ole ein aberwitziger Gedanke. Es war riskant, nein, völlig verrückt, aber es war die schnellste Lösung, und wenn sie noch länger tatenlos zusahen, wie der Bug auf Richard niederhämmerte, würde es zu spät sein.
    Hastig rutschte Ole zurück zum Mast, wo er das Großfall bereitgelegt hatte. Fieberhaft befestigte er dieses an der Öse seiner Rettungsweste, dort wo auch seine Sicherungsleine

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