Die Farbe der See (German Edition)
hatte ein hartes Gehäuse aus Blech und war allemal groß genug, um darin etwas zu verstecken. Natürlich war er nur deshalb die ganze Reise über defekt gewesen, weil ein Teil der Schaltkreise und Röhren aus seinem Inneren hatte entfernt werden müssen, um Platz für Hülsmeyers geheime Pläne zu machen. Und natürlich waren Rauschs beständige, rührige Bemühungen, das Gerät zu reparieren, nichts anderes als ein ausgebufftes Täuschungsmanöver, das einzig und allein dazu gedient hatte, Korfmann und Strasser weiter an der Nase herumzuführen.
Bei diesem Gedanke musste Ole plötzlich laut auflachen: Rausch tief schlafend vor dem halb auseinandergenommenen Funkgerät, außer Gefecht gesetzt von Strassers und Korfmanns heimtückisch in den Weinbrand gemischtem Betäubungsmittel, und die beiden Giftmischer, wie sie bis auf Armeslänge an das Versteck herangekommen waren und es nicht gemerkt hatten. Meister Rausch, dachte Ole vergnügt, wenn du wüsstest! Diese Art von Witz wäre genau nach deinem Geschmack gewesen …
»Kannst du das noch mal sagen?«, fragte Lina, jetzt eindeutig ungeduldig.
»Ganz einfach! Die Pläne sind im Inneren des alten Funkgerätes versteckt! Es war innen hohl, verstehst du? Deswegen hat es nicht funktioniert! Und deswegen mussten sie es von Bord schaffen! Jetzt sind die Pläne wieder genau da, wo sie auch schon in Kiel die ganze Zeit über gelegen haben: unter Wasser!«
Ole strahlte Lina an. Sie starrte zurück, skeptisch, ob das, was sie da gehört hatte, Sinn machte.
In diesem Augenblick kam von vorne ein lautes Krachen und Klötern.
Der Schreck fuhr Ole in alle Glieder.
Auch Lina war schlagartig auf den Beinen und starrte nach vorn.
Instinktiv riss Ole das Ruder herum, weil er zuerst dachte, er hätte die Yacht auf die Felsen gesetzt. Aber dann sah er erleichtert, dass sie sich mit der gleichen Geschwindigkeit weiter durchs Wasser bewegte. Rasch brachte er die Skagerrak zurück auf Kurs und legte den Maschinenhebel in Leerlauf, um die Fahrt aus dem Schiff zu nehmen.
Der Knall war unzweifelhaft von einer Kollision ausgegangen. Irgendetwas mussten sie erwischt haben. Lina stand bereits auf dem Seitendeck und sah nach hinten ins Wasser.
»Da!«
Sie zeigte auf eine grüne Fahrwassertonne, die soeben hinter dem Schiff auftauchte und um ein Haar noch das neue Beiboot erwischt hätte, das sie mangels einer passenden Decksauflage im Schlepp hatten. Das Toppzeichen der Tonne war in einem überaus seltsamen Winkel zur Seite gebogen, und sie hing verdächtig tief im Wasser. Kein Zweifel, die hatten sie übergemangelt!
»Hat bestimmt ein paar hässliche Kratzer in den Bug gemacht, das Ding!«, sagte Ole und verzog verlegen das Gesicht.
»Was zum Teufel war das?«, fragte Sigur barsch, der in diesem Augenblick aus dem Steuerhaus gepoltert kam.
Natürlich. Der Knall musste unten im Schiff sicher noch mal so laut gewesen sein wie hier oben an Deck.
»Wir wissen, wo die Pläne sind!«, grinste Ole an Stelle einer Antwort.
Sigur starrte ihn ohne sichtliche Überraschung an.
»Was du nicht sagst!«
»Vielleicht solltest du’s ihm noch mal erklären?«, sagte Lina und fügte leiser hinzu. »Dann kapier ich’s möglicherweise auch.«
Bis er Lina und Sigur noch einmal genau auseinandergesetzt hatte, wie er auf das Funkgerät als Versteck gekommen war, hatte die Skagerrak die nördliche Ausfahrt aus dem Kyrkesund hinter sich gelassen und den offenen Fjord erreicht.
Die ganze Zeit über, während Ole sprach, hatte Sigur ihn finster angestarrt und immer wieder missbilligend den Kopf geschüttelt. Es war offensichtlich, dass er kein Wort glauben wollte.
»Ein Versteck in einem Funkgerät!«, knurrte er dann auch abfällig, als Ole geendet hatte. »Idiotisk!«
Na klar, dachte Ole und blitzte wütend zurück, du würdest die Pläne ja nicht mal in die Hand nehmen, wenn man sie dir auf einem silbernen Tablett reicht. Das hast du ja heute Nacht offen genug gesagt!
Zum Glück schien es hier weniger auf Sigurs Meinung anzukommen. So viel hatte Ole seit dem Überfall begriffen. Trotz seiner beachtlichen Statur und seines handfesten Auftretens hatte Sigur nicht das Format, den Kurs zu bestimmen. Ein typischer Vorschoter eben, dachte Ole boshaft. Bärenstark, aber ohne Peilung. Der Steuermann musste stets jemand anderes sein. Bisher war es, wie bereits bei der Starbootregatta in Kiel, der Professor gewesen. Jetzt war es Lina.
Ole sah gespannt zu ihr hin.
»Zugegeben, es klingt ein bisschen
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