Die Farbe der See (German Edition)
und die Arme um die Knie gelegt. Ihr Gesicht hielt sie abgewandt, um es von der aufgehenden Sonne wärmen zu lassen. Was schade war, dachte Ole, weil er so die Farben ihrer Augen nicht sehen konnte. Als Entschädigung dafür spielte das Morgenlicht in ihrem Haar.
Nach einem Moment wandte sie sich zu ihm um.
»Tore geht es schlecht«, sagte sie ernst. »Die Schmerzmittel sind zu schwach, und er beginnt zu fiebern. Wenn er nicht bald zu einem Arzt kommt, hat er keine Chance.«
»Sollen wir umdrehen?«, fragte Ole und zeigte auf das achteraus liegende Kyrkesund zurück.
»Nein. Ich glaube, dieser Ort ist zu klein. Und zu nah an Marstrand.«
Ole warf einen Blick auf die Karte.
»Der nächste heißt Mollösund. Drei Meilen voraus. Ich glaube, der ist etwas größer.«
»Gut. Hoffen wir, dass sie da einen guten Arzt haben!«, antwortete sie. »Und keine allzu eifrigen Polizisten!«
Nach einer Pause hängte sie an: »Wenn wir nur endlich das verfluchte Versteck und die Pläne finden würden, dann könnten wir runter von diesem Schiff und wären nicht so verdammt leicht zu erkennen.«
Sie sah ihn an.
»Hast du gar keine Idee, wo sie sein können?«
Ole schüttelte den Kopf.
»Der Konteradmiral hat es mir nicht verraten, wenn du das meinst.«
Lina nickte und wandte ihren Blick wieder dem Wasser zu. Sie hatte diese Antwort erwartet.
Ole überlegte angestrengt. Was genau hatte von Wellersdorff in der Zelle gesagt? Das Versteck ist zu gut. Und dann noch etwas anderes: Vermutlich werden sie es selber von Bord schaffen, ohne es zu merken!
Plötzlich hielt Ole die Luft an.
Das würde erklären, warum weder Strasser noch Lina die Pläne hatten finden können.
Das Versteck von Bord schaffen – konnte das sein?
Ole war sich mehr als sicher, dass der Konteradmiral diese Worte gebraucht hatte. Es waren ja beinahe die letzten, die er von ihm gehört hatte. Allerdings hatte Ole sich die ganze Zeit über keine Gedanken gemacht, was von Wellersdorff damit gemeint haben könnte. Das änderte sich gerade schlagartig.
Oles Gedanken überschlugen sich jetzt: Was war in den vergangenen Tagen alles von Bord geschafft worden?
Die Seesäcke der Kadetten! Vielleicht hatte der Konteradmiral einem von ihnen die Pläne zugesteckt?
Nein, die wären viel zu leicht zu kontrollieren gewesen. Und von Wellersdorff hatte doch gesagt, dass das Versteck absolut sicher war. Es musste etwas anderes sein. Etwas aus der Achterkammer. Lina war von dort gekommen, als sie während des Überfalls danach gesucht hatte. Sie sind nicht mehr da, hatte sie zu Sigur gesagt.
»Wo waren die Pläne, als du sie zuletzt gesehen hast?«, fragte Ole. »Bevor die Schnellbootleute uns geentert haben, meine ich.«
Lina schien von der Frage und von Oles plötzlich so drängendem Tonfall überrascht.
»In der hinteren Kammer«, antwortete sie und zuckte die Achseln. »Paul hatte sie für uns auf dem Kartentisch ausgebreitet. Ich war mir sicher, dass er sie auch wieder irgendwo dort versteckt hat.«
Von Wellersdorffs Kartentisch.
Der musste doch sicher an die zwanzig Mal durchsucht worden sein. Vor allem die Schubladen für die Seekarten, zwischen die man natürlich ganz einfach andere Papiere hätte mogeln können.
Ole konzentrierte sich, bis er den Navigationsplatz vor sich sah:
Die Platte aus dunklem, tief glänzendem Holz. Darunter mehrere große Schubladen für Seekarten und zwei kleinere für das Navigationsbesteck. Darüber eine offene Ablage für die Handbücher und eine Lampe. Daneben die Instrumente: Schiffsuhr, Barometer, eine Tochteranzeige der Logge …
Und plötzlich sah er das Versteck!
Ohne Zweifel und so glasklar wie das Wasser über den Felsen, die neben dem Schiff vorüberzogen. Ole hätte laut aufschreien und sich heftig an die Stirn schlagen können, so einfach war die Lösung des Rätsels. Und gleichzeitig so genial!
Die Pläne waren tatsächlich die ganze Reise über dort gewesen, wo der Konteradmiral sie ständig unter seinen wachsamen Augen gehabt hatte!
Sie waren von Bord geschafft worden, als die Skagerrak an der Werftpier in Marstrand lag, ohne dass das Versteck weiter kontrolliert worden wäre.
Und sie waren von Kapitänleutnant Strasser persönlich mit einem wütenden Fußtritt ins Wasser befördert worden.
Ole war aufgesprungen und hatte Lina an beiden Armen gepackt.
»Das kaputte Funkgerät!«
Lina sah ihn irritiert an.
Der tiefe, klobige Kasten, der oberhalb des Navigationstisches in die Schottwand eingebaut war,
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