Die Farbe der See (German Edition)
es! Der Mast der Yacht ist so hoch, das Schnellboot wird die Segel meilenweit sehen!«
»Nicht wenn wir unter Motor fahren und uns dicht vor der Küste halten! Außerdem müssen wir nur so lange unsichtbar bleiben, bis wir die Pläne gefunden haben!«
»Die Pläne, die gottverdammten Pläne!«, schimpfte Sigur.
Und dann setzte er auf Schwedisch eine wütende, hastige Rede nach, von der Ole so gut wie nichts verstand. Außer einem: Die Pläne und das, was sie bedeuteten, waren Sigur längst egal. Er war in Panik, wollte nichts anderes, als nur noch mit heiler Haut aus dieser Sache herauskommen. Er wollte weglaufen! Ole musste sich zwingen, ihn nicht anzustarren.
Lina hatte die ganze Zeit über geschwiegen, aber Missbilligung und Enttäuschung standen ihr klar lesbar ins Gesicht geschrieben.
Als sie wieder sprach, war ihre Stimme sehr leise und sehr kalt.
»Och Frederik? Vad han är avlidet för?«
Die Erwähnung des gemeinsamen toten Freundes ließ Sigur verstummen und den Blick zu Boden richten.
Einen Augenblick lang hing eisiges Schweigen im Raum. Schließlich schnaufte Sigur entnervt und sprach auf Deutsch weiter.
»Na schön, und wie stellst du dir das vor? Wir zwei alleine, auf diesem riesigen Kahn, mit einem Schwerverletzten, um den wir uns kümmern müssen? Und gleichzeitig sollen wir hier unten auch noch alles absuchen!«
»Wir sind zu dritt! Er wird uns helfen.«
Ole fuhr herum und starrte sie an. Ihr ausgestreckter Finger zeigte auf ihn.
Heißes Blut fuhr ihm in die Wangen, gab weithin sichtbar seine Gefühle preis: Erleichterung. Hoffnung. Er würde in ihrer Nähe bleiben können!
Jetzt konnte Ole nicht anders, als Sigur fragend anzustarren.
Von seiner Antwort hing es ab. Mit finsterem Gesicht und abwehrend vor der Brust gekreuzten Armen stand er am Kartentisch der Achterkammer. Der Blick aus seinen eng stehenden Augen wanderte von Ole zu Lina und wieder zurück. Nach einem endlos langen Augenblick wandte er sich wortlos um und stieg hinauf an Deck.
»In seiner Sprache heißt das: ja!«, sagte Lina und ein grimmiges Lächeln spielte um ihren Mund. Dann sagte sie: »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Kannst du den Motor starten?«
Ole nickte und lief los.
»Und lass die Positionslichter aus!«, rief sie ihm nach.
Der Starterknopf für die Maschine saß unter einer kleinen Klappe am Fuß von einer der Cockpitbänke. Ole beugte sich zu ihm hinab, öffnete die Klappe, drehte den Zündschalter und drückte den Knopf. Mit dumpfem Rumpeln sprang irgendwo unter ihm der schwere Schiffsdiesel an.
Als Ole sich wieder aufrichten wollte, spürte er plötzlich eine Hand im Genick, die ihn mit hartem Griff unten hielt, und den kalten Lauf einer Pistole, der sich in seine Wange bohrte.
»Eins sag ich dir«, zischte Sigur dicht an seinem Ohr, »wenn du versuchst, uns zu betrügen, wenn ich dich auch nur in der Nähe des Funkgerätes erwische, knall ich dich ab! Verstanden?«
»Ja, schon gut!«, antwortete Ole gepresst. »Lass los!«
Sigur gab ihn mit einem unsanften Stoß nach vorne frei.
»Wir nehmen das innere Schärenfahrwasser nach Norden. Du steuerst!«
Als Ole sich aufgerappelt und zu ihm umgedreht hatte, war Sigur bereits dabei, die Leinen der Yacht zu lösen.
Das taube Gefühl an der Stelle, an der er ihm die Pistole in die Wange gedrückt hatte, hielt noch eine ganze Weile lang an.
*
Im Schutze der Dunkelheit, die zu dieser Jahreszeit kaum drei Stunden dauerte, steuerten sie durch den Sund von Marstrand und verließen den Ort unbehelligt durch die nördliche Einfahrt. Mit dem Ansteuerungsfeuer und den spärlichen Lichtern des Ortes im Rücken überquerten sie zügig den offenen, etwa drei Meilen breiten Marstrandsfjord.
Obwohl ihm Sigurs Drohung noch unangenehm im Ohr hallte, war Ole froh, dass Linas Verlobter ihm das Steuer überlassen hatte. Er hätte ihn auch auffordern können, nach dem Versteck der Pläne zu suchen. Unter Deck, wo noch immer ein unangenehm beißender Brandgeruch in der Luft lag. Und vier blutige Leichen in den Kammern rechts und links des Mittelganges. Hier oben hingegen war es kalt und frisch auf eine angenehme Art, die Ole half, nach den aufwühlenden Ereignissen dieser Nacht wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Und den konnte er jetzt dringend gebrauchen. Denn nördlich des Marstrandfjordes begann das schwierige, von zahlreichen kleineren Inseln und Felsen gesäumte Schärenfahrwasser. Wie eine gewundene Straße schlängelte es sich westlich der Inseln Tjörn
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