Die Farbe der See (German Edition)
fragenden Blick auf sich gerichtet.
»Um ihnen zu entkommen?«, fragte er zurück.
Er schüttelte den Kopf.
Ausreichend freies Wasser vor dem Bug vorausgesetzt, konnte das Schnellboot über vierzig Seemeilen in der Stunde fahren. Die Skagerrak vielleicht zwölf. Und das auch nur unter voller Besegelung bei viel Wind aus der richtigen Richtung. Jetzt, unter Motor, der nicht viel mehr als eine Manövrierhilfe und ein Flautenschieber war, kletterte die Anzeige der Logge kaum über die Acht-Knoten-Marke.
Ole begann zu rechnen. Bis das Schnellboot abgelegt und mit der notwendigen, reduzierten Fahrt die vorgelagerten Inseln und Untiefen umrundet hatte, mochten von jetzt ab vielleicht noch sechs oder sieben Minuten vergehen. Danach noch einmal zwei oder drei für die kurze, freie Strecke über den Fjord. Höchstens.
»Zehn Minuten«, murmelte er. »Dann haben sie uns!«
Ole griff sich die Seekarte von der Cockpitbank, um ihren möglichen Fluchtradius abzuschätzen. Sigur beugte sich mit ihm über die Karte.
»Wir müssen so schnell wie möglich an Land und verschwinden! Irgendwo hier! Oder hier!«
Sigurs Finger tippten auf die nächstgelegenen Ufer, die jedoch denkbar ungeeignet waren, weil sie entweder durch vor ihnen liegende Riffe unzugänglich oder schlicht nur karge Inseln waren, auf denen sie ebenso in der Falle gesessen hätten wie hier an Bord.
Auch Lina schüttelte ablehnend den Kopf, jedoch aus einem anderen Grund.
»Ausgeschlossen! Willst du Tore huckepack über die Felsen schleppen? Das überlebt er nicht!«
»Herregud, Lina! Vad vill du? Willst du dich schnappen, foltern und erschießen lassen, wie Frederik? Nein danke, nicht mit mir! Außerdem, falls es dir entgangen sein sollte, Tore ist sowieso schon so gut wie tot!«
»Wir werden ihn nicht im Stich lassen!«, schnappte Lina zurück und blitzte Sigur wütend an.
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen starrte Ole auf die Seekarte. Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit, Richard zu entkommen …
Östlich von ihnen, also jetzt an ihrer linken Seite, reckte der Kråkefjord einen seiner vielen Arme durch eine schmale, gewundene Öffnung in den sehr viel größeren, weit verzweigten Stigfjord hinein, der geradewegs nach Osten verlief und die beiden großen Hauptinseln dieses Küstenabschnittes voneinander trennte, Orust und Tjörn.
Auch in der Passage zu diesem Fjord lagen mehrere größere Schäreninseln. Die nächstgelegene und größte hieß Smögholm und war nur wenige Kabellängen von ihnen entfernt. Sie lag genau zwischen der Einfahrt zum Stigfjord und der Stelle, an der das Schnellboot aus dem Fahrwasser von Mollösund herauskommen musste. Noch wichtiger: Ihre höchste Stelle war mit fünfunddreißig Metern über dem Meersspiegel in der Karte verzeichnet. Eben hoch genug, um eine Yacht vom Kaliber der Skagerrak samt Großmast dahinter verschwinden zu lassen!
Ole warf einen Blick hinüber auf das kahle Eiland. Dann blickte er nach hinten. Noch war das deutsche Schnellboot hinter den Felsen vor Mollösund verborgen.
Normalerweise hätte Ole seine eigene Idee als Schwachsinn bezeichnet. Unter den gegebenen Umständen war es ihre einzige Chance.
»Wenn wir’s bis da rüberschaffen«, murmelte er und tippte in der Seekarte auf die Stelle hinter dem hohen Schärenrücken, »sehen sie uns vielleicht nicht!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang er ans Ruder und änderte erneut den Kurs, diesmal um vierzig Grad nach backbord.
»Der Stigfjord!«, rief Lina, als sie gemeinsam mit Sigur auf die Karte blickte. »Bei Gott, Ole, du könntest recht haben! Da wimmelt es nur so von Inseln, hinter denen wir uns verstecken können!«
»Das sind mindestens zwei Meilen bis dahin«, knurrte Sigur. »Vorher haben sie uns längst eingeholt.«
Das stimmte. Aber Ole hatte nicht vor, in den Fjord hineinzufahren. Für seinen Plan war nur diese erste, vor der Einfahrt zum Fjord liegende Insel wichtig. Smögholm.
»Sigur, kannst du in den Mast klettern?«
»Was? Wozu?«, fragte Sigur unwirsch zurück.
»Du musst mindestens bis auf die zweite Saling, besser noch ganz nach oben«, sagte Ole und blickte ihn ruhig an.
Es war jetzt wichtig, dass es keinen weiteren Streit gab. Sonst konnten sie es niemals schaffen.
»Wir müssen wissen, ob sie uns gesehen haben, wenn wir hinter der Anhöhe dort verschwinden!«, erklärte er und zeigte auf den flachen Felsrücken, der augenscheinlich die höchste Stelle von Smögholm markierte.
Sigur hingegen blickte den Mast
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