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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan von der Bank
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wir haben jetzt den Strom von vorne?«, fragte von Wellersdorff. Es klang gereizt.
    »Nur hier. Da drüben unter Land gibt es einen Neerstrom, der uns schieben würde.«
    »Woher, verdammt und zugenäht, willst du das wissen?«
    Ole wusste sich nicht anders zu behelfen als mit der schlichten Wahrheit.
    »Ich kann es sehen«, antwortete er leise. »An der Farbe des Wassers.«
    Es klang so unsäglich dumm, dass er sich am liebsten sofort die Zunge abgebissen und über Bord gespuckt hätte. Seiner Aussage nach segelten voraus ein amtierender und ein Ex-Weltmeister sowie der Europameister blindlings in die falsche Richtung und nur er, der Verlegenheitsvorschoter Ole Storm, kannte den richtigen Weg.
    Ole duckte sich tiefer auf die Kante, um dem stechenden Blick seines Steuermanns zu entgehen. Aber von Wellersdorff sah über ihn hinweg und beobachtete konzentriert die Wellen. Erst voraus, dann querab in der von Ole angezeigten Richtung.
    »Ich kann keinen Unterschied erkennen«, brummte er. Dann fügte er jedoch zu Oles grenzenloser Überraschung hinzu: »Aber sei’s drum. Wer nicht wagt … Klar zur Wende!«
    Als kurz darauf die Undine den Salutschuss für das »first ship home« abfeuerte, nickte von Wellersdorff Ole Storm nur einmal knapp zu. Aber in seinen kühlen grauen Augen lag Anerkennung.
    Sie hatten einhundert Meter Vorsprung auf von Hütschler herausgefahren und einhundertfünfzig auf Straulino und Wegenforth.
    *
    Auch im zweiten Lauf des Tages hatten sie nahezu perfekt gesegelt. Sie beendeten ihn als Zweite hinter dem amerikanischen Boot von Wegeforth, nicht zuletzt, weil Ole auf der zweiten Kreuz einen Winddreher angesagt und von Wellersdorff ihm diesmal ohne zu zögern geglaubt hatte.
    Die eigentliche Sensation dieses Rennens war jedoch, dass der favorisierte Pimm von Hütschler und sein Vorschoter Richard Korfmann durch eben diesen Dreher am Ende nicht über einen sechsten Platz hinausgekommen waren und sich in der Gesamtwertung völlig überraschend den ersten Platz mit von Wellersdorff teilen mussten. Und mit einem allseits unbekannten jungen Segelmacher namens Ole Storm.
    Auf dem Weg zurück in den Hafen war Ole so stolz und glücklich wie noch nie zuvor. Sie rauschten mit weit aufgefierten Schoten und schäumender Bugwelle die grünen Ufer der Förde entlang. Wegeforth dreißig Meter querab winkte ihnen anerkennend zu und ihre übrigen Kontrahenten reihten sich brav in ihrem Kielwasser ein.
    »Übernimm mal!«, sagte von Wellersdorff, als sie den Friedrichsorter Leuchtturm passierten. Ole ließ sich das nicht zweimal sagen und setzte sich an die Pinne. Der Konteradmiral lehnte sich entspannt gegen den Großbaum und genoss, wie er es formulierte, den »erhebenden Blick« auf die nachfolgende Flottille. Er zog ein goldenes Zigarettenetui hervor und steckte sich eine seltsame, aus dunklem Papier gewickelte Zigarette an.
    »Maisblatt«, sagte er. »Auch eine?«
    Ole schüttelte den Kopf.
    »Kluge Entscheidung. Eine von denen wird mich eines Tages umbringen …«, sagte von Wellersdorff leise und ließ das Etui zuschnappen. Er inhalierte und lehnte sich genießerisch zurück. Scheinbar gedankenverloren wanderte sein Blick über die Wellen achteraus. Doch dann sah er Ole unvermittelt in die Augen.
    »Du kannst dem Wasser also ansehen, ob ein Strom setzt oder wohin der Wind dreht?«
    Ole war ein wenig überrascht.
    »Ja, manchmal.«
    »Und du siehst es an der Farbe?«
    Der Konteradmiral ließ den Qualm seiner Zigarette aus der Nase strömen und überlegte. Dann machte er eine vage Geste übers Wasser.
    »Also für mich sehen die Wellen alle irgendwie gleich aus. Alle sind blau.«
    Ole zuckte die Achseln.
    Natürlich waren die Wellen blau. Aber gleich? Niemals!
    Das Meer hielt so unendlich viele Nuancen dieser Farbe Blau parat, dass Ole nicht einmal einen Bruchteil davon hätte mit Namen benennen können. Außerdem, wo hörte Blau auf und wo fing Grün an? Oder Türkis? Grau, Braun, Weiß?
    Tiefes Wasser hatte ein anderes Blau als flaches. Salziges ein anderes als frisches oder brackiges oder schaumiges. Der Farbverlauf einer langen Welle sah für Ole völlig anders aus als der einer kurzen oder jener, die quer zur Strömung lief. Wie der Himmel und das Licht von oben, so spiegelten sich auch von unten herauf die Farben des Meeresgrundes in die der Oberfläche hinein. Sandgrund, Kraut, Felsen, Schlick mischten deren Blau ihre eigenen matten Grün- und Gelbund Brauntöne bei. An der Intensität dieser

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