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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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sehr kalt an, und Harriet merkte, dass sie zitterte. Sie hielt Billys Zügel und Ladys Seil sehr fest. Jetzt konnte sie erkennen, dass in der sonnenlosen Schlucht ein Wasserfall sicherlich dreihundert Meter in die Tiefe stürzte. Sein Donnern erreichte sie verzögert, als bewege der Schall sich hier anders. Und sie dachte an Dorothy, die einmal zu ihr gesagt hatte: »Wir sind nicht stark genug für Flüsse und Sterne. Wir glauben, wir sind die Herren der Schöpfung, aber das stimmt nicht.«
    Jetzt begannen die Männer, sich neben Harriet auf das vorzubereiten, was sie erwartete. Sie zogen ihre Bündel straff, banden die Schnürsenkel an ihren Stiefeln neu, tranken einen Schluck Schnaps, zogen ihre Hüte tiefer in die Stirn, als könnten die sie vor fallenden Ästen und Steinen beschützen. Und Harriet wusste, sie würden alle hinuntergehen, wie groß ihre Angst auch sein mochte. Sie würden alle ihr Glück versuchen, nun da ihr Traum vom Gold sie schon bis hierhin gebracht hatte, und einen anderen Traum gab es nicht . Sie waren wie Soldaten auf dem Rückzug.
    Doch für sie selbst, musste Harriet jetzt einsehen, sah es anders aus: Sie und Lady würden zwar hinunterkommen, aberBilly würde es nicht schaffen. Und mehr brauchte sie nicht als Rechtfertigung für ihren sofortigen Entschluss zur Umkehr. Sie blieb noch einen Moment stehen und versuchte, einen letzten Blick auf den Mann zu werfen, der schon hinuntergegangen war, doch der war schon verschwunden. Dann drehte sie mit Billy um und zog Lady näher heran, weg aus dem eisigen Wind.

»D ER KOSTBARE N AME EINES MANNES «
I
    Joseph lag allein in seinem Zelt und horchte auf den Regen. Das leise Geräusch auf dem Zeltdach klang für ihn wie ein ferner Applaus, mit dem die Leistungen anderer gepriesen wurden.
    Er durchlebte verzweifelte Tage. Auf seinen zweiundzwanzig Quadratmetern hatte er schon sieben Schächte ausgehoben und mit Brettern stabilisiert. Drei waren vollgelaufen und liefen, trotz gewissenhaft angelegter Drainage, immer wieder voll. In jedem der restlichen vier war Joseph bis zu der Schicht mit blauem Ton vorgedrungen, und Will Sefton war, wendig wie ein Schornsteinfeger, hineingeklettert, um »das Gold rauszukratzen, Mister Blackstone«, war jedes Mal eifrig und willig hineingeklettert, um die Funde einzusammeln, und dann hatte es überhaupt keine Funde gegeben, kein glänzendes Gelb, nur Eimer um Eimer schwerer, fetter Lehm mit bläulichem Schimmer und sehr mühsam in der Wiege zu waschen.
    Joseph hielt sich für einen geduldigen Menschen. Hatte er nicht das Lehmhaus aus ebendiesem elenden Dreck erbaut? Hatte er nicht Beauty, die Kuh, in einer Erde bestattet, die so hart war, dass der Spaten brach? Doch jetzt wusste er, dass Geduld nicht reichte; er brauchte Glück . Er würde das Gold finden, wenn es da war; aber wenn es nun nicht da war?
    Die Vorstellung, dass es auf seinem Claim kein Gold gab, war so entsetzlich, dass Joseph bei dem bloßen Gedanken eine Gänsehaut bekam. All seine Zukunftsvisionen von einem anderen Leben ließen sich nur mit Geld verwirklichen. Und in ein Leben zurückkehren zu müssen, das sich in nichts von dem unterschied, das er mit dem Betreten der Wallabi hinter sich gelassen hatte, war so schmerzlich, so unvorstellbar traurig, dassJoseph lieber auf seinem Dreißig-Schilling-Fleckchen Erde sterben und in einem Grab aus blauem Ton verrotten wollte.
    Denn im kalten, feuchten Licht all seiner Tage hier in Kokatahi war ihm sehr klar geworden, dass es mit seiner Farm auf der Okuku-Hochebene ohne Geld nie etwas werden würde. Lilian würde ihr Porzellan am rußigen Herd reparieren und darüber alt werden, ohne dass er selbst jene eine Tat vollbracht hätte, die endlich ihre Anerkennung fand. Sie würde sterben und ihn immer noch verachten. Und danach würden Harriet und er vielleicht weiterkämpfen, aber auf eine distanzierte, verschlossene, kalte Art, und Hass würde sich zwischen ihnen einnisten und ihnen seinen Stempel aufprägen, und das wäre das Ende.
    Es war, als würden Maden ihm den Nacken hinauf und ins Haar kriechen. Er setzte sich auf, und ein Schrei entfuhr ihm, als er die Hand hob, um, was immer da krabbelte, wegzuwischen. Doch da war nichts, nur die Angst in seinem Kopf, die ihn nicht losließ. Am liebsten hätte er laut geschrien, so wie er einst Vögel oder Spielzeug oder die drei Tiger in der Zirkusmanege angeschrien hatte. Sein Verlangen, endlich Gold zu finden, wurde derart heftig und erbarmungslos, dass er,

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