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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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dich, Will …«
    Will trat Joseph und stieß ihn von sich. »Du bezahlst mich jetzt !«
    »Das werde ich. Lass mich nur …«
    »Nein! Nein, ich lass dich nicht!«
    Will stützte sich mit den Armen ab, stand auf, drehte sich um und sah Joseph ins Gesicht. Er boxte ihn hart in den Magen, und Joseph krümmte sich und fiel zur Seite, und sämtliche Luft schien aus seinen Lungen zu weichen, und Galle füllte seinen Mund, und alles um ihn herum – das Rauschen des Flusses, das Quietschen der Winde, das Keuchen von Will Sefton – existierte plötzlich nicht mehr.
    Als er aufblickte, stand Will über ihn gebeugt, als wollte er wieder zu einem Hieb ausholen. Er blinzelte und spuckte. Und jetzt sah Joseph, dass direkt hinter Will noch ein Mann stand. Dieser Mann war stumm und reglos wie ein Reiher, und Joseph wusste sofort, dass er alles gesehen hatte, was gerade geschehen war. Und er dachte kühl: Wer immer dieser Mann ist, ich werde ihn töten müssen.
    Joseph versuchte aufzustehen. Der Mann sah nicht zu ihm, er sah weg, aber es lag etwas wie ein Lächeln in seinem Gesicht – ein Lächeln, das nicht richtig ein Lächeln war –, und Joseph erinnerte sich, dass er diesen Blick schon einmal gesehen hatte, diesen chinesischen Blick, und zwar an Deck der Wallabi . Und die Tatsache, dass er von so einem selbstgefälligen Himmlischen in diesem Zustand der Demütigung und des Schmerzes gesehen wurde, erschien ihm schlimmer – sofern irgendetwas schlimmer sein konnte – als das, was gerade geschehen war.
    » Was ?«, brüllte Joseph und knöpfte wütend seine Hose zu. »Was glotzt du so?«
    Der Mann sagte nichts, senkte nur den Kopf. Neben seinen Füßen standen zwei Körbe mit Gemüse, und Joseph begriff jetzt, wer er war. Er war Skorbut-Jenny, und sie hatten ihn schon einmal oben vom Wald aus gesehen, den Gemüseanbauer Chen, der sich sein Geld verdiente, indem er Grünzeug an die Goldgräber in Kaniere verkaufte.
    »Aufwachen!«, schrie Joseph, als Chen nicht antwortete. »Was willst du? Glaubst du, du kannst mich erpressen mit dem, was du gesehen hast? Geht es darum? Glaubst du, du kriegst mein Gold? Pass auf, ich hab kein Gold, Jenny. Ich habe nichts, und du hast nichts gesehen. Kapiert?«
    »Er verkauft Gemüse«, sagte Will ruhig.
    Der Mann bückte sich, und sein langer Zopf fiel ihm über die Schulter. Er nahm einen Kohlkopf aus seinem Korb und hielt ihn Joseph hin.
    »Du magst das?«, fragte Chen Pao Yi. »Aus meinem Garten.«
    Joseph hätte den Kohlkopf gern genommen und ihn dem Mann an den Kopf geschleudert. Er hätte seine Körbe gern zum Fluss geschleift und all das Gemüse ins Wasser gekippt. Er zog eine Schaufel aus dem schweren Boden, schwang sie wie eine Waffe und war sich gleichzeitg bewusst, wie albern er jetzt aussehen musste.
    »Verschwinde«, sagte er. »Verzieh dich, Jenny. Das ist mein Claim, und ich habe dreißig Schilling dafür bezahlt. Du bist auf meinem Land, und ich will, dass du gehst!«
    Er wollte schon ausholen, um den Chinesen mit der Schaufel zu schlagen, aber zu seiner Überraschung legte der Mann den Kohlkopf gehorsam zurück und packte beide Körbe, um sie an seine Bambusstange zu hängen und zu gehen.
    Doch da meldete Will sich zu Wort: »Ich hätte gern einen Kohlkopf, Mister Blackstone. Um meine Krankheit mit frischem Gemüse zu kurieren.«
    Joseph starrte Will an, wie er da vor ihm stand, mager, abgerissen und mit Lehm beschmiert. Er könnte sie beide umbringen, dachte er, Will Sefton und den niederträchtigen Chinesen, könnte sie mit seiner Schaufel totschlagen, und dann wäre er allein auf seinem Claim, und die Erde würde seinen Schrei erhören und ihre Schätze freigeben, und seine Welt würde schön und strahlend sein. Doch er stellte fest, dass er keine Kraft mehr hatte. Keine Kraft und keine Stimme. Er ließ die Schaufel sinken. Er suchte in seiner verdreckten Tasche nach ein paar Pennies und warf sie dem Chinesen vor die Füße, und Chen sammelte sie auf. Dann suchte der Chinese den schönsten Kohlkopf aus und legte einen kleinen Bund Rettiche dazu und reichte beides Will.
    »Danke«, sagte Will. »Danke, Jenny. Jetzt werde ich gesund.«
    Eine Woche war vergangen, seit Will ihn verlassen und sich den Schotten angeschlossen hatte.
    Joseph gewöhnte sich zwar allmählich ans Alleinsein, aber er fand, dass die Zeit jetzt sehr viel langsamer verging, und der Hunger nagte an ihm, nicht so sehr ein Hunger nach Lebensmitteln, die er nicht besaß, sondern Hunger nach dem Glück, das

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