Die Farbe der Träume
obwohl es regnete, schon daran dachte, mitten in der Nacht aufzustehen und mit einem neuen Schacht zu beginnen, ganz egal wo, einfach dort, wo er gerade stand, ohne jedes planvolle Vorgehen. Und sogar jetzt noch, nach den Enttäuschungen von sieben unergiebigen Schächten, malte er sich aus, wie er, bei Anbruch der Morgendämmerung, vielleicht zum ersten Mal auf Gold stoßen und seine neue Zukunft ihm entgegentanzen würde.
Doch er legte sich wieder hin und rührte sich nicht. Enttäuschung hatte etwas Zermürbendes. Mit großer Zärtlichkeit dachte er an seinen Vater, der sich, an Tagen, an denen er keine Farm aufsuchen und auch nicht mit Notizbuch und Hämmerchen zu irgendeiner Viehmarktauktion musste, häufig in seinen Lieblingssessel sinken ließ, den Kopf zurücklehnte, den weißenMöbelschonbezug von der Rückenlehne zog und dann so lange damit herumfummelte, bis sein Gesicht darunter verschwand. Und anschließend fiel er in einen unruhigen Schlaf, aus dem er vielleicht gar nicht wieder erwachen wollte.
Lilian beklagte sich über die zerknautschten Schonbezüge. Sie verurteilte ganz entschieden den Gebrauch, den Roderick davon machte, und erklärte, sie sehe keinen Grund, überhaupt noch Schonbezüge über die Sessellehnen zu ziehen, wenn er weiter so damit umging.
»Lass gut sein«, hatte Roderick gesagt. Nur diese drei Worte: Lass gut sein. Und vielleicht hörte Lilian die Qual darin, denn die Schonbezüge blieben auf den Sesseln, wurden so oft wie nötig gewaschen und gebügelt, und bis Roderick Blackstone auf einer Straußenkoppel den Tod fand, hörte er nicht auf, sie immer dann zu zerknautschen und sich über das Gesicht zu ziehen, wenn er das Gefühl hatte, sein enttäuschtes Herz brauche Erholung durch Schlaf.
Joseph versuchte nun, Ruhe und Schlaf zu finden, doch er horchte nicht nur auf den prasselnden Regen, sondern auch auf Schritte, da er hoffte, Will würde vielleicht in dieser Nacht zurückkehren. Doch er wusste, dass seine Hoffnung vergeblich war. Will Sefton hatte ihn für die Schotten verlassen. Ihr Zusammensein, das Joseph schon für selbstverständlich gehalten hatte – selbstverständlich jedenfalls so lange, bis er genügend Gold fand, um sein Leben zu ändern –, hatte sich ganz plötzlich in Gewalt und Demütigung aufgelöst.
Begonnen hatte es vor einer Woche mit Wills Beschwerde, er würde für seine »Dienste« nicht bezahlt. Anfangs hatte Joseph diese Beschwerde nicht ernst genommen. Er erinnerte Will daran, dass er ihn ernährte, ihm Unterkunft in seinem Zelt bot und die Angelrute gekauft hatte – der Junge fing mit Begeisterung Fische, die er auf kleinen Feuern am Flussufer briet. Joseph hatte geglaubt, das würde reichen. Will Sefton würde ihm jetzt solange »gehören«, wie sein Leben in Kokatahi dauerte. Sie würden es gemeinsam durchstehen und gemeinsam an den Schächten arbeiten und in den Nächten das tun, was sie taten, wenn ihn der Drang überkam (denn jetzt, wo er in einer Männerwelt lebte, gestand Joseph sich ein, dass das männliche Verlangen wie ein verhungerter Magen ist und befriedigt werden muss; das Moralisieren über die Art der Befriedigung konnte man getrost Pfarrern und Frauen überlassen). Und irgendwann würde das Gold da sein, und dann würde Joseph großzügig zu dem Jungen sein, so großzügig, wie seine eigenen Pläne es eben erlaubten …
Doch dann verbreitete sich am Fluss die Kunde, die Schotten seien auf Gold gestoßen. In stillen Nächten konnten Joseph und Will die glücklichen Glasgower Schürfer laut singen und jubeln hören. Und Will trat aus dem Zelt und stand, als wäre er mondsüchtig, draußen im Freien und lauschte.
»Ich kann es sehen «, sagte Will eines Morgens nach einer langen Nacht, in der er nicht geschlafen, sondern nur in Wachträumen dem schottischen Gold nachgesonnen hatte. »Ich sehe es in ihren dreckigen Händen. Keine Späne, kein Staub, sondern richtige Klumpen, und so herrlich schwer, wie Gold immer ist …«
Joseph und Will standen nebeneinander und gönnten sich eine Pause von ihrer Arbeit zwischen den Erdhaufen und Bretterstapeln. Ihre klapprige Winde quietschte spöttisch.
»Der Fund der Schotten steigert unsere Chancen«, verkündete Joseph tapfer. »Ihr Terrain ist fast identisch mit unserem. Unsere Zeit wird kommen.«
Will ließ seinen Pickel fallen und schnäuzte sich mit der Hand. »Oder sie kommt nie«, sagte er und wischte sich die Hand an der Hose ab. »Und dann hat mein Arsch für nichts geblutet
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