Die Farbe der Träume
deshalb konnte sie bei den Männern sitzen, ihren Teller Taubeneintopf essen, sich am Feuer wärmen und der Einzigartigkeit dieser Nacht überlassen, welche die erste Nacht ihrer Reise war. Und es stellte sich so etwas wie Glück bei ihr ein. Sie hatte nichts mehr gegen die Unterhaltung der Goldsucher, die sich jetzt ihren Fantasien vom reichen Leben zuwandte, »sobald das Gold gefunden ist«. Und sie fand es amüsant, dass wirklich jeder von ihnen sich erst einmal zum Menschenfreund erklärte und schwor, er werde niemals »knickerig und knauserig und hart wie Stein« sein, sondern seinen zukünftigen Reichtum selbstverständlich teilen – mit Brüdern und Schwestern, Cousinen und Neffen …
Sie wagte sich mit einer Bemerkung vor. »Ist Ihnen noch nicht aufgefallen«, sagte sie, »dass die Menschen sich vor einem größeren Geldsegen stets vorstellen, wie schön es sein wird, ihn zu teilen, aber wenn der Reichtum dann da ist, scheint nie genug zum Teilen da zu sein?«
Es folgte ein leises Gelächter. »Das hängt doch davon ab«, sagte einer der Schürfer, »was Sie Reichtum nennen. Wahrer Reichtum muss dauerhaft sein. Er muss so groß sein, dass er niemals dahinschmilzt. Bei einem mittleren Vermögen sollten Sie sich vielleicht sagen, dass Sie es waren, der es errungen und den verdammten eigenen Hals dafür riskiert hat, weshalb Sie es dann auch zu Recht behalten dürfen.«
»Ich würde sagen, dass ein bisschen Armut eine feine Sache ist«, erklärte ein anderer. »Aber nur beim ersten Mal! Ich kann gut von Buschratten leben! Aber wenn ich das dann eine Weile nicht mehr muss und auf den Geschmack von zartem Lammfleich und sauberen Laken gekommen bin, und plötzlich wird mir das alles wieder genommen, wie werde ich mich dann wohl fühlen?«
»Krank wie ein Puffotter!«, sagte Charlie Wilde, und die ganze Runde am Feuer brach in Lachen aus.
Harriet schlief in der Ecke einer der beiden Hütten mit Lady zu ihren Füßen, und die Männer lagen neben ihr und und schnauften und quälten sich durch die Nacht.
Sie erwachte, als es hell wurde. Sie fror und schlenderte zu dem Manuka-Gebüsch, das nach Tod stank. Und während sie da hockte, befahl sie sich, Herz und Verstand und Empfinden abzuhärten. Von jetzt an, nahm sie sich vor, würde sie alles, was ihr begegnete, entweder erdulden oder bezwingen und sich niemals mehr irgendeine Schwäche erlauben. In dem stinkenden Wäldchen merkte sie mit einem Mal, dass eine Sehnsucht sie erfüllte – dass sie sich über alle Maßen nach etwas sehnte, das sie aber nicht zu benennen vermochte.
Charlie Wilde kochte eine Hafergrütze auf den Resten des Feuers, und Harriet und die Goldgräber füllten ihre Bäuche, und dann begannen sie mit dem letzten Stück des Wegs, der zur Hurunui-Schlucht führte. Dort endete die Hochebene; dort würden die Wagen umkehren.
»Jetzt kannst du die Minuten zählen«, hörte Harriet einen der Männer sagen. »Bis die Hölle beginnt.«
III
Pare lag im Dunkeln und lauschte dem Wasserfall.
Von der schmalen Felsspalte aus, in der sie sich befand, schien es ihr, als hörte sie im fallenden Wasser das Geflüster der ganzen Welt, in aberhundert Sprachen, mit den Stimmen von abertausend Seelen. Und wenn sie vollkommen still liegen und nur sehr wenig atmen könnte, würde sie einige Worte enträtseln, und diese Worte würden sie vielleicht trösten und ihr helfen, die Reise fortzusetzen.
Doch Pare vermochte sich nicht zur Stille zu zwingen.
Sie lag unter ihrer Decke auf einem grauen Stein, ihr Bündel fest an sich gedrückt. Sie hatte die Füße mit Poroporo-Balsam eingerieben und mit Blättern umwickelt, aber die Schmerzen in diesen zerschrammten, blutenden Füßen waren so entsetzlich, dass ihr gesamter Körper in Aufruhr war. Sie flüsterte, ohne es zu wollen, auf den Schmerz ein und versuchte gleichzeitig, still zu sein, und konnte es nicht, und sie wusste auch, dass sie es nicht konnte, und die Nacht schritt voran, und ununterbrochen taumelten und stürzten und verschwanden die Wörter im Wasserfall.
Zwischendurch schlief sie immer wieder ein. In ihren Träumen hörte sie einen Kormoran schreien. Sie wünschte sich den Morgen herbei, denn mit Beginn des neuen Tages würde sie wieder nach Reisenden Ausschau halten, die die Schlucht betraten. Pare wusste, dass, wer die Schlucht vom Grat des Hurunui-Sattels aus erblickte – wer sie mit eigenen Augen sah –, sie für eine Art Unterwelt halten würde, in der traurigste Geister, die vergessen oder
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