Die Farbe der Träume
gelebt, und jetzt würde alles anders werden.
Er hatte noch kein Feuer gemacht. Er wusste, dass er für die Männer, die da in der Dämmerung ankamen, am besten möglichst unsichtbar blieb, und instinktiv wollte er in sein Zelt gehen, sich vor ihnen verstecken, um sie nicht sehen, nicht mit ihnen reden zu müssen. Doch er blieb, wo er war. Obwohl sichsein Claim als so hoffnungslos entpuppte, wusste er, dass er seinen Boden, sein Recht auf dieses Stück Land am Fluss verteidigen und dafür sorgen musste, dass niemand sich an seinen Absperrseilen zu schaffen machte, die hier und da ein paar Zentimeter zusätzlich stahlen, weil er sie um Felsbrocken und Geröll herumgeführt hatte.
»Wie sieht’s hier aus?«, rief einer der Männer ihm zu. »Sind Sie auf Brenner-McConnell-Boden, Mister?«
Joseph konnte die Männer jetzt riechen, sie stanken nach verfilzten Schädeln, entzündeten Genitalien und verfaulenden Füßen.
»Da haben Sie aber einen Spitzen-Claim?«, sagte ein anderer. »Einen echten ›Aufsteiger‹, was?«
Joseph erwiderte nichts darauf, sondern fragte spontan: »Ist Will Sefton bei euch?«
»Will Sefton? Wer ist Will Sefton?«
»Mein Junge«, sagte Joseph. »Ist zu den Schotten gegangen.«
»Das Schotten-Lager ist wie der Piccadilly, Mister. Da kommt man kaum noch ran. Die Brenner-McConnell-Heimfahrkarte kennen sie inzwischen auch schon in Greymouth.«
»Ich glaube nicht, dass das eine Heimfahrkarte ist«, sagte Joseph.
»Wieso nicht? Ich hab gehört, sie haben einen Klumpen so groß wie eine Männerfaust ausgegraben. Wissen Sie denn nicht, dass McConnell sich ein Pferd gekauft hat? Ein großes, teures Pferd. Und er hat Frauen.«
»Frauen?«
»Aus den Hotels in Hokitika. Die waschen sich die Haare in seiner Pisse für ein Gramm von dem, was er hat.«
Es wurde allerseits gehustet und gelacht. Joseph sah, wie ein Kaniere-Mann gegen einen seiner Erdhaufen trat, und dieser Mann fragte dann: »Sie arbeiten allein?«
»Ja«, sagte Joseph. »Bis mein Junge zurückkommt.«
»Und was haben Sie gefunden?«
Das Wort »nichts« blieb ihm im Hals stecken. Er zählte längst nicht mehr die Stunden, die er geschuftet, die Bretter, die er eingepasst, die Erde, die er Fuhre um Fuhre in seiner Wiege gewaschen hatte. Er konnte sich nicht dazu durchringen, laut zu bekennen, dass all das, dass jede einzelne Sekunde seiner Arbeit vergeblich gewesen war.
»Staub«, sagte er. »Kleine Körnchen. Nichts Nennenswertes.«
»Schürfer lügen immer«, sagte ein anderer.
»Ich lüge nicht«, sagte Joseph. »Ich bin hierher gegangen, um nicht so nah bei den Schotten zu sein. Aber Sie täten besser daran, dort hinzugehen und die Claims so nah wie möglich bei denen zu setzen.«
»Sind schon alle weg, Kumpel«, sagte ein junger Schürfer mit einem Hut, der wie eine alte Melone aussah. »Kein Zentimeter Flussufer mehr übrig. Aber sie sagen, dass das Gold sich in einem Strang bis nach hier oben zieht, bis dahin, wo er sich dann stark verengt und im Styx mündet.«
»Wer sagt das?«, fragte Joseph.
»Wer sagt in diesem Höllenloch überhaupt irgendwas? Aber ein Gerücht ist so gut wie jedes andere. Und ich bin zu müde, um weiterzugehen, also werden wir morgen hier unseren Claim abstecken.«
Diese Worte waren wie ein Signal für alle anderen. Sie waren ebenfalls müde, und es wurde immer dunkler. Sie ließen ihre Ausrüstung einfach dort fallen, wo sie gerade standen, direkt hinter Josephs nördlicher Grenzlinie. Sie bauten ihre Zelte auf, hämmerten die Heringe in die Erde, errichteten Feuer, schenkten Schnaps aus und bereiteten alles für die Nacht vor. Einige sprangen in den Fluss, um sich zu waschen. Das Wasser, das ihre mageren Körper umspülte, schimmerte noch im letzten Tageslicht, und Joseph sah ihnen zu, bis es ganz verloschen war.
D ER WEISSE W URM
I
Harriet war im Orchard-Haus.
»Sie sagten einmal, wir seien nicht stark genug für Sterne und Wasserfälle, und Sie hatten Recht. Ich war nicht stark genug für die Hurunui-Schlucht«, gestand sie Dorothy Orchard.
»Meine liebe Harriet«, entgegnete Dorothy, »Sie sind diesen grauenhaften Fuhrweg langgeritten, haben in Charlie Wildes Hütte geschlafen und die schnarchenden Männer ertragen und so weiter. Und dann sind Sie bis zum Rand des Abgrunds gegangen. Direkt bis an die Kante . All das zeugt von enormer Kraft, meinst du nicht auch, Toby?«
»Ja«, sagte Toby Orchard. »Stimmt, Doro.«
»Sag es doch bitte ein wenig überzeugter, Toby! Stimm mir nicht
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