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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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letzte Mal, als Sie hier waren und als Edwin anfing, von Flügeln und Gewändern zu reden, und behauptete, er würde sterben.«
    »Ja«, sagte Harriet. »Das stimmt. Wir glaubten damals, er hätte geträumt …«
    »Er träumt immer noch. Er hat vor irgendetwas schreckliche Angst, aber er will uns nicht sagen, wovor. Er behauptet, er darf es uns nicht sagen, Harriet. Wenn wir ihn dazu bringen, es zu verraten, müsse er sterben. Also habe ich ihn gefragt: ›Wirst du es dann dem Doktor sagen, Edwin?‹ Aber er weigert sich. Er sagt: ›Mama, du verstehst nichts von Freundschaft.‹ Weshalb wir nun noch beunruhigter sind. Von welcher Freundschaft redet er? Toby glaubt, diese ganzen Ängste existieren nur in Edwins Kopf. Aber ich glaube, es gibt eine Verbindung zwischen diesen Ängsten oder Träumen oder was immer sie sind und dem elenden Wurm.«
    Und da hatte Harriet das Gefühl, erneut am Rand eines Abgrunds zu stehen. Sie hatte versagt, hatte ihren Auftrag, Pare zu finden, nicht erfüllt. Sie hatte den Wasserfall gesehen (etwa den, an dem Pare gewesen war?), und sie war dennoch umgekehrt, ohne auch nur eine Sekunde an Pare zu denken, und das war ein schwerwiegender Verrat. Doch was jetzt drohte, war ein abscheulicher Treuebruch. Sie spürte den Sog des Abgrunds, die unerbittliche Schwerkraft dessen, was sie vernünftigerweise gesunden Menschenverstand oder ganz einfach richtig nennen würde. Denn jetzt zu schweigen und Edwin sterben zu lassen wäre wirklich kriminell, ein viel schlimmeres Verbrechen als Geheimnisverrat. Aber auch ein Treuebruch schien ihr unverzeihlich. Sie hatte nicht darum gebeten, Edwin Orchards Vertraute zu werden, doch er hatte ihr, in seinem einsamen Leben als einziges Kind auf einer Schaffarm, diese Rolle zugewiesen, und sie hatte geschworen, sich ihrer würdig zu erweisen.
    Zögernd fragte Harriet: »Soll ich versuchen, morgen mit Edwin zu reden? Schauen, ob er es mir verrät? Aus meiner Zeit als Gouvernante weiß ich, dass Kinder manchmal Fremden etwas erzählen, das sie ihren Eltern nicht sagen können, gar nicht aus Mangel an Liebe oder Vertrauen, sondern weil sie Angst haben, sie aufzuregen oder zu erzürnen.«
    Dorothy Orchard antwortete nicht sofort. Sie sah in die Nachthinaus, ihre Augen gingen hin und her, als hätte sie dort draußen etwas entdeckt und versuchte, es zu identifizieren. Dann wandte sie sich wieder an Harriet und sagte: »Träume können sehr große Macht haben, das begreife ich. Und vielleicht hilft es ja, diese Macht zu schwächen, wenn man einen Traum erzählt. Sprechen wir, wenn wir unsere Träume erzählen, nicht vielleicht auch, ohne es zu merken, von unseren Ängsten? Ich verstehe leider nichts von all diesen Dingen. Wenn man, so wie ich, in einem Herrenhaus in Cornwall aufgewachsen ist, was weiß man da schon von der inneren Welt? Man erkennt, ob etwas echt Silber oder nur Hotelsilber ist, einfach am Gewicht. Man weiß tausend solche Dinge, aber von Gefühlen versteht man nichts. Was ich meine – man kennt zwar Gefühle, weiß aber nur selten, woher sie kommen und was man damit anfangen soll …
    Und jetzt dieser Wurm. Was ist das für eine schreckliche Vorstellung, ein Wurm! Könnte tatsächlich ein Gefühl Edwin einen Wurm eingepflanzt haben? Könnte dieser Wurm wieder hinausbefördert werden, indem Edwin von seinem Gefühl erzählt? Ich weiß es einfach nicht, Harriet. Ich weiß einfach überhaupt nichts.«
    Dorothy hatte das Gespräch flüsternd begonnen, aber jetzt sprach sie sehr laut, als dränge alles in ihr zu einem verzweifelten Schrei.
    Ihre Hände umklammerten die Sessellehnen, bearbeiteten sie, als wollten sie Teig kneten. »Alles was ich weiß«, fuhr sie fort, »ist, dass wir verloren sind, wenn Edwin etwas zustößt. Toby und ich, wir würden untergehen. Wir würden nicht mehr weitermachen können, weil es keinen Grund mehr zum Weitermachen gäbe. Also müssen wir alles tun, egal was es ist, egal was es kostet, egal was, egal was , damit der Wurm rauskommt. Aber das Allerschlimmste ist, dass ich im Grunde nicht weiß, was ich tun soll, und Toby weiß es auch nicht, und jedes Mal, wenn Edwin sich übergibt, habe ich das Gefühl … Und alles was mir einfällt, ist Pudding. Noch mehr Pudding …«
    Dorothy barg das Gesicht in den Händen. Harriet hätte gern die Hand ausgestreckt und sie getröstet, doch Dorothy beugte die Schultern wie zu einem Schild, der sie verbergen und niemanden an sie heranlassen sollte.
    »Reden Sie mit ihm!«, brach es

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