Die Farbe der Träume
beherrschen konnte. Wahrscheinlich hätte jeder andere Mensch in Neuseeland keuchend das Wort »Gold« hervorgestoßen, aber Pao Yi tat das nicht. Er weigerte sich, dem Gebot zur Benennung des Dings nachzukommen, das er im Zwiebelbeet gefunden hatte.
Doch nun bewegte er sich wieder. Ohne sich zu eilen, pflanzte er sorgfältig seine Reihe zu Ende. Dann stand er auf und ging zu der Stelle, wo der goldene Kiesel lag. Er nahm ihn auf, merkte, wie schwer er war, und hielt ihn hoch, damit die Sonne ihn noch einmal berühren konnte.
Er sagte nichts. Er dachte an das Wehr, von dem seine Eltern in den Tod gestürzt waren, und an ihre Gräber am langen Berg, die vielleicht nicht alles enthielten, was von ihnen übrig war. Dann dachte er an Paak Shuis roten Drachen über dem Berg und daran, was für einen wunderschönen, leuchtenden Fleck er am Himmel bildete. Und endlich dachte er auch an Paak Mei und dass er vielleicht eines Tages ihre perlenbestickten Schuhe durch Pantoffeln ersetzen würde, die mit kostbaren Steinen geschmückt waren.
III
Als die Nachricht von den schottischen Funden Kaniere erreichte, beschlossen vierzig, fünfzig Schürfer, die wochenlang mit wenig Erfolg geschuftet hatten, ihren Schaden zu begrenzen, neue Lizenzen zu kaufen und sich nach Kokatahi aufzumachen. In der Zeit, die sie für die Strecke zum Verwalterbüro in Hokitika und zurück brauchten, hatte die Gerüchteküche den schottischen Treffer zu einer sogenannten »Heimfahrkarte« aufgeblasen, einer Entdeckung, so ungeheuer, dass sie das Leben mit einem Schlag verändern würde: Sie würden als reiche Männer nach Hause zurückkehren können.
Sie kamen zu zweit oder in Gruppen den Fluss hinauf. Sie sahen aus wie eine völlig andere Sorte Menschen, wie ausgebrochene Sträflinge, die vor dem Tod flohen, wie eine verhungerte Armee. Viele waren im feuchten Sumpfland von Kaniere krank geworden, konnten nichts essen und waren dünn wie Gespenster. Ihre Haut war wächsern gelb, und in ihren riesigen Augen standen Schmerz und Enttäuschung. Die Kleider, die sie noch besaßen, waren längst so dreckverkrustet, dass sie es irgendwann sinnlos fanden, sie zu waschen. »Der Dreck hält uns warm«, scherzten sie. »Extraschutzschicht gegen den Winter. Und auch noch Tarnung, falls da Krähen am Himmel warten.«
Als sie Kokatahi erreichten, sahen sie, dass die Erde hier fester war. Einige von ihnen hatten seit einem Monat nicht mehr auf trockenem Boden gestanden oder geschlafen. Die Claims am Fluss beim Lager der Schotten waren allerdings alle schon besetzt. Die Neuankömmlinge von Kaniere zählten siebenundzwanzig hand- und zwei pferdebetriebene Winden. Über allem lag ein unendlicher Lärm. Und die Abraumberge bildeten mittlerweile einen fast durchgängigen Wall am Südufer des Kokatahi-Flusses.
Auf der Nordseite gab es, allerdings ziemlich weit vom Wasser entfernt, noch reichlich Land, gutes, trockenes Land, geeignet als Standort für ein Zelt, ohne Anzeichen von Buschratten, ohne Gefahr von Mückenstichen. Die Männer aus Kaniere machten Halt, setzten ihr Werkzeug ab, sahen sich um und wogen Bequemlichkeit und Chancen gegeneinander ab. Sie wollten so gern wieder gesund werden, aber was galt schon Gesundheit, wenn man arm blieb? Sie wussten, dass Hamish McConnell und Marty Brenner ihren Treffer direkt am Wasser gelandet hatten, dass, was man inzwischen überall die »Brenner-McConnell-Heimfahrkarte« nannte, ein Claim am Fluss war. Sie wussten ebenfalls, dass das Gold sehr oft in Adern und Flözen in der Erde liegt. Ein erfolgreicher Goldgräber musste also erahnen können, wie solch ein Flöz lag, und sich an dessen Verlauf orientieren. Weshalb schließlich nur wenige von ihnen ihr Zelt dort aufschlugen, obwohl das trockene Grasland abseits vom Fluss Kokatahi nach Kaniere der reinste Himmel war. Die meisten zogen weiter den Fluss hinauf.
Eines Nachmittags, als das Licht schon zu schwinden begann, hörte Joseph sie kommen. Und dann sah er sie auch, und er wusste, was sie waren: Sie waren die Unglücksraben. Vielleicht hatten sie in Kaniere ein bisschen Goldstaub gefunden, genug für ihren Vorrat an Reis und Schnaps, aber die Art, wie sie sich mühselig am Flussufer entlangschleppten, verriet ihm ihr fehlendes Glück. Sie waren wie er.
Und jetzt würden sie in seine Welt eindringen.
Joseph stand auf seinem Claim und rührte sich nicht. Fast einen Monat lang hatte er hier am Kokatahi fast ganz für sich allein gegraben, in seinem eigenen Universum
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