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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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elend. Und dieses elende Gefühl reichte bis in die tiefsten Tiefen seiner Existenz.
    Er sah sie in ihrem Gemüsegarten, sah die hoch gewachsene Gestalt in ihrem grünen Reich – zu groß für ihn, zu klug, mit einem zu starken Willen –, die Frau die er geheiratet hatte, um den Fallstricken der Liebe zu entkommen. Und während er die Brecher heranrollen sah, dachte er, den größten Gefallen täte er Harriet, wenn er sich für immer von ihr fernhielte. Er würde ihr Geld schicken – falls er jemals Gold fände. Sie hatte ihn in gutem Glauben geheiratet und das Recht auf einen Anteil von allem, was er vielleicht noch fand, falls sein Glück sich noch wenden sollte. Aber er konnte nicht sein altes Leben mit ihr wieder aufnehmen, dieses Scheinleben, das er so angestrengt zu leben versucht hatte. Denn jetzt erkannte er seine wahren Gefühle. Es war ganz einfach. Er begriff, wie seine Gefühle in Wahrheit beschaffen waren, und mehr noch, er kam zu der Überzeugung, dass er sie auf die eine oder andere Weise zu respektieren hatte.
II
    Sechs Stunden hatten sie für den Abstieg in die Hurunui-Schlucht gebraucht, da sah Pare sie: zwei aneinandergeknüpfte Pākehā-Männer, die am Wasserfall vorbeitaumelten. Sie kamenschweigend heran, die Gesichter in der Abenddämmerung bleich wie der Mond.
    Sie wollten zu der Stelle am Fluss, wo Pare hingekrochen war, um ihre Füße zu baden. Pare blieb ganz still sitzen. Sie wusste, die Männer hatten sie nicht gesehen, und nach dem, was sie durchgemacht hatten, würden sie auch erst dann etwas sehen können, wenn sie am Wasser niedergekniet und getrunken hätten.
    Sie ließ die beiden trinken, ließ sie sich wieder aufrichten und langsam das Seil losbinden. Erst dann machte sie sich rufend bemerkbar, und ihre Köpfe fuhren hoch, und der jüngere Mann begann zu schreien.
    Als sie sich von dem Schock über Pares gespenstische Erscheinung am Flussufer erholt hatten, begriffen Flinty Fairford und Johnboy Shannon, dass sie Glück hatten.
    Eine Maorifrau.
    Jeder wusste, dass Maoris den Busch verstanden, dass sie wussten, wie die Sonne sich bewegte, wo man Flüsse überqueren konnte, welche Pflanzen essbar waren, wie man Vögel fing und wie sich Hornissenstiche und Sandmückenbisse lindern ließen. Es hieß, Maoris könnten Feuer machen, indem sie ihre Hände aneinanderrieben, und Fieber heilen, indem sie ihre Stirn auf die Stirn des Kranken legten. Weshalb die beiden erschöpften und verängstigten Männer, als sie sahen, wen sie da vor sich hatten, Pare höflich grüßten und nach einer Weile durch den Fluss dorthin gingen, wo sie saß und die Füße badete.
    Flinty und Johnboy waren überrascht, dass sie Englisch sprach und ihnen erklären konnte, dass sie ebenfalls über den Hurunui gekommen war. Sie bat die Männer zaghaft um etwas zu essen, und sie gaben ihr ein paar Scheiben Speck und kochten ihr einen Tee auf einem kleinen Feuer. Sie aß hungrig und dankte ihnen und sagte: »Wollen Sie Gold? Ich kann Ihnen zeigen, wo es Gold gibt. Aber ich kann nicht gehen. Sie werden mich dort hintragen müssen.«
    Sie sahen sie an, maßen sie mit den Augen. Sie sahen, dass kein Gramm Fleisch mehr an ihren Maoriknochen war. »Wir werden Sie tragen«, sagte Johnboy. »Wenn Sie uns das Gold zeigen, tragen wir Sie wie ein kleines Baby.«
    Sie schliefen auf Pares Felsvorsprung und hörten das Rauschen des Wasserfalls in der Dunkelheit. Über ihnen leuchtete das Sternenzelt, und Flinty und Johnboy blickten in stillem Triumph zu den fernen Lichtern empor, denn sie hatten den Abstieg in die Schlucht überlebt. Pare hatte ihnen gezeigt, wie man sich ponga-Wedel schneidet, die gegen die Kälte schützen, und dann schliefen sie wie müde Hunde.
    Sie machten aus Pares Decke eine Schlinge, und Pare setzte sich auf Johnboys Rücken und ließ ihre dünnen Beine baumeln.
    Der Weg war düster und heimtückisch. An manchen Stellen reichten die überhängenden Klippen so tief, dass sie auf Händen und Knien kriechen mussten. Neben ihnen rauschte der Fluss, und wenn sie einen Überhang nicht umgehen oder unter ihm durchkriechen konnten, waren sie gezwungen, durchs Wasser zu waten. Vor jeder mühseligen Flussdurchquerung blieben sie stehen. Johnboy setzte Pare ab, sie kniete sich ans Ufer, starrte ins Wasser und versuchte abzuschätzen, wie stark die Strömung war, wo die Strudel lauerten, wo es am flachsten war und ob und wie fest Schiefergeröll oder Steine auf dem Grund lagen.
    Siebzehnmal führte Pare sie über den

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