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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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er nichts, aber natürlich schaute er sie noch genauer an, sah ihren lachenden Mund, das lockige Haar, das ihr auf die Schultern fiel … Und nachdem sie so auf sich aufmerksam gemacht hatte, sorgte sie dafür, dass er noch etwas sah: den Blutfleck auf ihrem Unterrock.
    Wenn Joseph an diesen Augenblick zurückdachte, schien ihm, es müsste auch noch eine Art Gespräch stattgefunden haben – mit irgendwelchen langweiligen Fragen zum Viehmarkt oder zum Fischladen oder Bemerkungen zum Wetter oder über ihren Bruder Gabriel, der eine irische Freundin hatte –, doch an derlei belangloses Geplauder an diesem ersten Abend konnte er sich nicht mehr erinnern. Er wusste nur noch, was er dann getan hatte, an jenem Sommerabend, während langsam die Sonne unterging. Er ging zu Rebecca, die immer noch auf dem Tor saß, und stellte sich zwischen ihre gespreizten Beine und küsste sie, und noch während er sie küsste, wusste er, dass er sich in seinem ganzen dreißigjährigen Leben nach nichts so sehr gesehnt hatte wie nach ihr, diesem sechzehn Jahre alten Mädchen in den schicken Stiefeln und dem befleckten Unterrock.
    Und dann flüsterte sie ihm etwas zu. Sie sagte: »Wenn Sie es wollen, Mr Blackstone, könnten wir jetzt irgendwo hingehen, und es würde nichts passieren. Ohne Folgen, verstehen Sie? Nurdas Vergnügen. Ich habe Sie schon immer gewollt – so flott und so adrett in Ihrem Anzug –, seit dem Tag, als ich sah, wie Sie die Stute meines Vaters verkauft haben. Ich hätte geschworen, dass diese Stute heiß auf Sie war, Mr Blackstone! So wie die um Sie herumgetänzelt ist. Aber ich weiß jetzt, was Männer wollen, Gabriel hat es mir gesagt … Männer wollen nur das Vergnügen und keinen Ärger neun Monate später. Kein Füllen! Sagen Sie mir, ob ich Recht habe?«
    Er erklärte, sie hätte Recht.
    Er hielt es für eine Art Vertrag: kein Ärger .
    Und es wurde sofort zu etwas, das ihn an sie kettete, etwas, das sie von allen anderen unterschied, etwas, das ihm süße Seelenruhe bescherte.
    An dieser Stelle wurde Josephs Erinnerung jedoch unsicher. Er geriet ins Schleudern, als er sich der Zeit näherte, die dann folgte, einer Zeit, die er am liebsten vergessen würde. Denn nach jenem Tag und dem nächsten und dem übernächsten und dann einen Monat später, als sie wieder ihre Blutung hatte, wie sollte da immer noch das, was sie taten, »ohne Folgen« bleiben?
    Er fragte sie ständig danach. Er dachte, sie wisse Bescheid, aber sie wusste natürlich nicht Bescheid. Sie sagte: »Was macht das jetzt schon aus, Joseph Blackstone, wo du mich doch liebst.«
    Er war besorgt und verwirrt. Er erwiderte, es mache eine ganze Menge aus. Er sagte, das sei Teil des Vertrags. Aber Rebecca jammerte, sie wisse nicht, von welchem »Vertrag« er rede. Sie wiederholte so lange ihre Litanei von der Liebe, bis er das Gefühl hatte, das Wort »Liebe« würde ihn in den Wahnsinn treiben.
    Und so verließ er sie.
    Er dachte, seine Gefühle hätten nichts mit Liebe zu tun. Er verließ sie für zwei Monate und dreiundzwanzig Tage und versuchte, sie zu vergessen. Einmal sah er sie im Garten von Lilians Haus in Parton stehen und zu den Fenstern blicken, und er rief ihr zu, sie solle weggehen. Aber es brach ihm das Herz, soetwas zu sagen, denn kaum sah er sie, wollte er sie nur noch in seinen Armen halten.
    Sie drängte sich in seine Träume. Sein Verlangen fand keine Ruhe. Er verfluchte sie. Sie sei eine Hexe, die sich auf Zaubersprüche verstehe. Am liebsten hätte er ein Messer genommen und sie aus seinem Herzen geschnitten. Die Welt um ihn herum und jede einzelne Person darin wurden ihm so entsetzlich langweilig, dass er glaubte, ersticken zu müssen. Der Kopf tat ihm weh, und ein schwerer Stein lag in seiner Brust, wenn er sich mit seinem Vater zu den Bauernhöfen und Märkten schleppte. Er konnte nicht essen, was seine Mutter kochte, glaubte zu ersticken, wenn er sich in sein Bett legte.
    Und so suchte er sie im Herbst dort auf, wo sie arbeitete, bei ihrem Vater, dem Fischhändler. Und er führte sie wie eine Dame an seinem Arm in das Wäldchen von Parton Woods, und ehe sie schreien oder Widerstand leisten konnte, nahm er sie von hinten, bei ihrem süßen kleinen Ärschchen, und war dort im Himmel und starb, als ihm sein Vergnügen kam, starb für die Welt, für alles andere als dies.
    Kein Ärger.
    Jetzt konnte er sich mit ihr treffen, wann immer er Lust hatte. Sie protestierte, das tue ihr weh, aber es machte ihm nichts aus, ihr weh zu tun.

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