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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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alle anderen, blieben jetzt auch stehen, um zuzuschauen, allerdings etwas abseits der Menge, und die Arme hatten sie genauso vor der Brust verschränkt wie Hamish McConnell in seinem nagelneuen Hemd.
    Aus dem Schornstein der Wallabi quoll schwarzer Rauch, während sie ein zweites Mal zur Einfahrt ansetzte, diesmal auf südlicherem Kurs. Joseph hielt den Atem an und wartete auf den erregenden Moment, in dem der Kiel des Dampfers auf Sand aufsetzen würde.
    Doch jetzt gingen die Passagiere von Bord.
    Es hatte keine Katastrophe gegeben. Keine Toten.
    Und tatsächlich verspürte Joseph beim Anblick der Neuankömmlinge so etwas wie Enttäuschung, eine öde Rückkehr zu den vertrauten Gefühlen von Langeweile und Pessimismus. Mehr denn je hatte er den Eindruck, die Welt hätte es darauf angelegt, ihm all das vorzuenthalten, wonach er sich sehnte.
    Er beobachtete, wie die Männer schwankend und unsicher festen Boden betraten. Einige schleppten all die unhandlichen Utensilien für die Goldgräberei; andere hatten nichts dabei. Alle wirkten bleich in dem kalten Licht.
    Der Hotelbesitzer verkündete laut: »Kost und Logis für ein paar Pennies! Kommen Sie und ruhen Sie Ihre Knochen im Hotel aus! Beste Unterkunft in Hokitika!«
    Die Bankangestellten waren wieder im Gebäude verschwunden. Der Claim-Verwalter verteilte bedruckte Handzettel. Auf dem gelben Papier stand, dass eine Schürflizenz dreißig Schilling koste und das Schürfen ohne Lizenz ein Vergehen sei und mit einer Geldstrafe geahndet werde.
    Joseph wollte gerade in sein Zimmer zurückkehren, ehe einer der neuen Jungs es ihm wegschnappte und seinen flohverseuchten Körper auf das Bett legte, als er jemanden seinen Namen rufen hörte.
    Er blickte sich suchend um. Die Stimme war hoch und hell, und für einen kurzen Moment dachte er, es könnte Will Sefton sein.
    Dann sah Joseph die Person, deren Nähe er für immer zu meiden gehofft hatte: Er sah seine Frau.
    Sie hatte ein Tuch um den Kopf geschlungen und kam die Gangway hinuntergelaufen und bewegte sich jetzt in seine Richtung.
    Instinktiv wollte Joseph zurückweichen, doch hinter ihm war kein Platz in der dicht gedrängten Menge. Und so kam sie immer näher, Harriet Blackstone, hoch gewachsen und zielstrebig wie immer, ihre Hündin Lady an der Leine, und das Tier sah ihn nun auch und die Erinnerung an ihn – an Joseph Blackstone, der gar nichts beherrschte, nicht einmal diesen Hund – streifte Ladys Gehirn; sie begann zu jaulen.
    Harriets Gesicht war bleich und freudlos, ohne den Anflug eines Lächelns, und ihre Augen waren groß und müde. Joseph sah, dass ihr Mantel schmutzig war.
    Er rührte sich nicht. Die Sekunden vergingen. Er sah, dass die Begegnung unausweichlich war, und versuchte, sich gegen Harriets Berührung zu wappnen.
    Jetzt sprang der Hund an seinen Beinen hoch. Harriet zog ihn fort und beugte sich vor, um Joseph zu umarmen.
    »Joseph«, sagte sie.
    Er konnte nichts sagen, nicht ihren Namen aussprechen, keinen Gedanken fassen, außer dem einen, dass er beschlossen hatte, nie zu ihr zurückzukehren. Und sie hatte – als könnte sie Gedanken lesen – ein Schiff bestiegen und stand jetzt neben ihm auf den grauen Planken des Kais von Hokitika.
    Sie küsste seine Wange. Er nahm ihren vertrauten Duft wahr, zu dem jener Hauch von Riechsalz oder Limonade gehörte. Er ahnte, dass er selbst wohl immer noch nach Kokatahi roch. Auch wenn er gebadet hatte, roch er sicher nach blauem Ton und dem dreckigen Bettzeug im Zelt.
    Sie trat einen Schritt zurück. Beide wurden sie von der Menge hin und her geschoben und wären fast gestürzt.
    Dann legte Harriet ihre Hand auf sein Gesicht, und er ertrug die Hand, weil er den ernsten, flehenden Ausdruck in ihren Augen sah.
    »Deine Mutter lebt nicht mehr«, sagte sie. »Die arme Lilian ist tot.«

D ISTANZ
I
    Chen Pao Yi untersuchte den Goldklumpen, den er in seinem Zwiebelbeet gefunden hatte. Er untersuchte ihn bei Sonnenschein und in der Dunkelheit.
    Der Klumpen hatte etwa die Länge seines Daumens, war aber ein wenig breiter. Sein Gewicht war bemerkenswert. Aus seinen Erfahrungen in Otago wusste Pao Yi, dass an der Oberfläche gefundenes Gold fast immer als verheißungsvolle Werbung fungiert: Es weist auf Reichtümer hin, die weiter unten liegen. Pao Yi wusste auch, dass ein echter Goldgräber den Gemüsegarten sofort aufgeben und mit dem Ausheben von Schächten beginnen würde. Überhaupt käme das Anbauen von Karotten und Kartoffeln jetzt sicher vielen Männern

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