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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Melodisches, denn alles, was in den vergangenen Wochen sein Ohr erreicht hatte, waren hässlich und misstönend gewesen.
    Auf den Kais von Hokitika gab es keine Musik, nur die ferne Musik des Meeres, also blieb Joseph stehen und blickte wieder einmal übers Wasser, und nach einiger Zeit bemerkte er einen dunklen Fleck auf der weiten grauen Fläche. Er sah genauer hin. Es musste die Wallabi sein, die sich langsam der Sandbank vor Hokitika näherte. Und Joseph ertappte sich bei der Frage, ob sein Leben vielleicht eine andere Wendung genommen hätte, wenn er erst jetzt mit diesem Trupp Goldsucher auf dieser SS Wallabi ankommen würde, die eben nicht die Wallabi war, auf der er Will Sefton kennengelernt und die Chinesen beobachtet hatte, die Reis auf einer Lampe kochten.
    Das Leben ist ein nie endender Krieg zwischen einem selbst und der den Dingen innewohnenden Willkür …
    Joseph spazierte zum Strand zurück, um zuzusehen, wie das Schiff über die Sandbank fuhr. Die Wellen waren höher als damals, als sein Schiff eingelaufen war, aber ein hoher Wellengang hieß nicht notwendig, dass die Sandbank auch hoch war. Sie bewegte und verschob sich ununterbrochen. Die Sandbank war die Verkörperung des Zufälligen, des nicht Plan- und Berechenbaren.
    Es war ein bewölkter Apriltag, und die Sicht war nicht gut,trotzdem hielt Joseph sich die Hand über die Augen und versuchte, die Menschen auf der Wallabi zu erkennen. Er wusste, sie würden sich an Deck drängen, um zu sehen, was Hokitika für ein Ort war, und um endlich an Land zu gehen, und nun tauchte da die Sandbank als neue Gefahr auf. Joseph glaubte, ziemlich genau nachempfinden zu können, wie ihnen zumute war. Das Ende ihrer Reise so nah, das Meer vor der Westküste überstanden, und doch hielt etwas Heimtückisches und Unsichtbares sie von der Küste fern … wie konnte das Schicksal nur so launisch sein?
    Jetzt sah er sie deutlicher: Gestalten, die zusammengedrängt an der Reling standen. Ihn packte eine Erregung, die er gar nicht mehr an sich kannte, und er brauchte nicht lange, bis er begriff, weshalb er hier stand: Er hoffte, dass die Wallabi unterging. Er wollte Zeuge einer Katastrophe sein, von der er nicht betroffen wäre, wollte zusehen, wie das Schicksal andere Existenzen vernichtete, wollte die Verzweiflung der Menschen hören, wenn sie versuchten, durch die tobende, eisige See zum Strand zu schwimmen – zu seinem Strand, dem Strand, an dem er um sein verpfuschtes Leben geweint hatte.
    Sein Herz pochte wie wild gegen seine magere Brust. Sein Mund war trocken. Er sah, wie die Wallabi beidrehte, als wollte sie umkehren, doch dann näherte sie sich von einer anderen Stelle, woraus er schloss, dass die Sandbank hoch war. Der Kapitän musste ihre Tentakel unter Wasser gesehen, sie mit seinem Lotblei gefühlt haben. Joseph bildete sich ein, er könnte ein Kind weinen hören.
    War es das, wonach er auf dem Kai von Hokitika suchte? Verlangte es ihn nach dem Anblick eines Geschicks, das schlimmer war als sein eigenes? Nach einem Zeichen Gottes, dass er, Joseph Blackstone, nicht als Einziger Leid und Verlust erdulden musste?
    Er malte sich seine Rolle bei der Rettung von Passagieren der Wallabi aus. Er würde bestimmt gern bei der Rettung von einpaar von ihnen helfen, weil er wüsste, dass die meisten nicht gerettet werden könnten. Und dann, wenn Augen und Seele sich am Anblick all dessen geweidet hätten, wäre es ihm vielleicht möglich, wieder nach Kokatahi zu gehen, zurück zu seinem ruinierten Stück Land mit den Ratten und den acht tauben Schächten, die langsam mit Regenwasser vollliefen. Wenn er hier den Beweis bekäme, dass er nicht als Einziger für Leid und Kummer ausersehen war, wenn er dies gesehen und es als kostbares Gut fest in seinem Gedächtnis verwahrt hätte, wäre er vielleicht wieder fähig, mit der Goldsuche fortzufahren.
    Joseph war nicht mehr allein am Strand. Still und leise schienen sich alle Einwohner von Hokitika eingefunden zu haben, um zuzuschauen, wie die Wallabi die Sandbank querte. Kleine Boote wurden klargemacht, um sofort in See zu stechen, wenn das Schiff auf Grund lief. Taue und Rettungsringe wurden an Bord gebracht. Joseph drehte sich um und sah zwei Männer aus der Bank von Neuseeland treten, dem Ort, den er so gern mit Händen voller Gold betreten hätte, um es wiegen und schätzen zu lassen und dann gegen so viel Geld einzutauschen, wie er noch nie besessen hatte.
    Die Männer aus der Bank, die eleganter gekleidet waren als

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