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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Gab es denn etwas auf der Welt, was nicht weh tat, fragte er sie. Und sie in ihrer Unschuld sagte, da gebe es viele Dinge, und begann sie aufzuzählen, doch die bescheidene Liste der Dinge, die sie mochte, ermüdete ihn. Und so stand er auf, knöpfte sich die Hose zu und ging weg, ließ sie einfach auf dem Boden liegen. Der Wind seufzte überall in den Buchen, und es begann leicht zu regnen, und sie fügte dem Regen ihre Tränen hinzu, doch er blieb ungerührt.
    Als der Winter kam und ihr siebzehnter Geburtstag vorüber war und Gabriel sein irisches Mädchen geheiratet hatte, bedrängte sie ihn, er solle »eine ehrliche Frau aus ihr machen«. Er weigerte sich. Er sagte, er wolle keine Ehefrau. Alles, was er wolle,sei das, was sie hätten. Und da wurde sie mürrisch und weinerlich und lachte über gar nichts mehr und erwiderte seine Küsse nicht. Aber was noch schlimmer war, viel schlimmer als alles andere: Sie ließ ihn nicht mehr an die Stelle, nach der er sich verzehrte. Sie versiegelte sie, die Hexe. Sie stopfte sie mit Watte zu, alles andere war ihr lieber als ihn tun zu lassen, was er dort tun wollte.
    Er litt Qualen. Er sagte sich immer noch, er liebe sie nicht, dieses schamlose, dickköpfige Mädchen, die Tocher des Fischhändlers, und dennoch wusste er, dass er ihr Sklave war. Er glaubte, nie mehr ohne sie leben zu können, wusste aber, dass ein Leben mit ihr nicht in Frage kam. Denn wie hätte er, dem so daran gelegen war, seiner Mutter zu gefallen, aus jemandem wie Rebecca Millward »eine ehrliche Frau machen« können, wie hätte er sie in Lilians Salon mit den Schonbezügen über den Samtsesseln bringen können? Er wusste genau, was Lilian sagen würde: »Dieses Mädchen ist ein ordinäres kleines Biest, Joseph Blackstone! Und lass dir ja nicht dein Leben durch sie ruinieren.«
    Er dachte, dass Lilian Recht hatte. Rebecca war ein Biest. Aber er hatte nicht vergessen, wie es gewesen war, als er versucht hatte, ohne sie zu leben. Er erinnerte sich an die öden Tage, die Nächte, in denen er keine Luft bekam.
    So vertraute er dem Zufall. Er erlaubte sich, Rebecca Millward so zu lieben, wie die meisten Männer ihr Liebchen oder ihre Ehefrau liebten. Er erlaubte Rebecca sogar, ihr eigenes Vergnügen zu haben. Sein Rücken war voller Kratzer von ihren kleinen, kurzen Fingernägeln. Sie biss in seine Lippen, seine Ohren, sein Schultern. Und alles vollzog sich so, wie es sich zu vollziehen hatte, bis sie eines Tages zu ihm kam und ihm erklärte, sie trage sein Kind unter dem Herzen. Und in dem Moment, so kam es ihm vor, wachte er auf: Er erwachte aus seiner Versklavung; erwachte in einem Albtraum; erwachte und sah sich Folgen ausgesetzt; erwachte und sah sich der Unausweichlichkeit, der Notwendigkeit eines Verbrechens ausgesetzt …
    Wenn Joseph in seinem Zelt in Kokatahi lag, gelang es ihm jedes Mal, seinen Erinnerungsstrom hier anzuhalten – bevor ein Verbrechen geschah, bevor überhaupt der Gedanke an ein Verbrechen auftauchen konnte.
    Er stellte sich andere Ereignisse vor, die reine Erfindung waren. Er malte sich aus, wie er Rebecca Millward an einem Frühlingsmorgen in Parton heiratete, sie trug einen schneeweißen Musselinschleier auf ihrer Lockenpracht und einen rosaroten Blumenstrauß, leuchtend wie ihr Mund, in den Fischmädchenhänden. Er malte sich aus, wie er auf der Hochzeit mit ihr tanzte und sie in einem Gasthaus zu Beginn der Flitterwochen zum Bett führte, während unten im Hof ein verrückter Geiger fiedelte. Wie er ihr dann ein Kleidungsstück nach dem anderen auszog, so wie er es noch nie getan hatte, und ihren Körper betrachtete, der sein war, nur sein, und niemals einem anderen gehören und niemals verletzt oder gedemütigt werden würde.
    Und diese Bilder schenkten ihm so etwas wie Ruhe und Entlastung. Entlastung von Schuld. Entlastung von Scham. Sie brachten für eine Weile den unaufhörlichen Lärm draußen vor seinem Zelt zum Schweigen, das Quietschen und Rascheln der Ratten, das Rütteln der Waschwiegen, das Jaulen der endlos sich drehenden Winden und das Seufzen des Herbstwinds.
    Aber Joseph musste weiterarbeiten. Er konnte sich nicht ständig in seinem Zelt verstecken, sich kratzen und träumen und leiden und den Tod anstarren. Er musste weiter nach Gold suchen.
    Er grub seinen achten Schacht. Er musste die Erde herausschaffen und durchsieben und dann in das Loch hinabsteigen, es mit Brettern verschalen und versuchen, es trockenzulegen. Die Erde war kalt, kalt wie Eisen. Und die

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