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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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waren gebogen und hatten einen hohen Spann, waren aber nicht gebrochen. Die Tänzerinnen konnten auf den Zehenspitzen balancieren. Sie konnten springen und fliegen. Und die Fläche, auf der sie tanzten, war aus Gold, und ein kräftiges goldenes Licht beschien ihre Gesichter von unten.
    Pao Yi hätte diesen Traum gern weitergeträumt, doch er verlor sich im Geräusch der provisorischen Tür seiner Hütte, die im Wind klapperte. Und er lag da, bewunderte im Geiste die roten Tänzerinnen und wartete auf den Morgen.
II
    Josephs Zimmer im Hotel von Hokitika war klein und hatte nur ein schmales Bett. Dieses Bett war ihm, nach dem harten Boden in Kokatahi, wie der gemütlichste Ort auf Erden erschienen, und als er begriff, dass er den ritterlichen Ehemann spielen und es Harriet überlassen musste, verdross ihn das.
    Es gelang ihm, sich eine dünne Strohmatte zu besorgen, die er auf dem Boden neben dem Bett ausbreitete. Aber es kam ihm komisch vor, dort zu liegen, so tief unter dem Bett; als wäre er ein Kleinkind, das auf einen untergeordneten Platz geschickt wird. Und als er zu Harriet hinaufblickte, die tief und fest, beinah sorglos an dem Ort schlief, der eigentlich ihm zustand, hasste er sie. Die Hündin Lady hatte sich erst unter dem Bett eingerollt, sprang aber bald hoch und legte sich zufrieden auf Harriets Füße. Und das verschärfte seine Wut. Denn nun war er der Einzige in diesem winzigen Zimmer, der die Härte der Fußbodendielen zu spüren bekam und den Staub einatmen musste, der sich an den Scheuerleisten schon zu Flocken verdichtet hatte …
    Ich bin der Köter, der in die Schmollecke geschubst wird.
    Joseph merkte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Vor seiner Ankunft in Neuseeland hatte er fast nie geweint, aber jetzt hatte er ständig das Bedürfnis danach. Der Mann, der das Lehmhaus gebaut hatte – und den es nicht gekümmert hatte, wohin er sein Haupt legte, den es nicht gekümmert hatte, dass die Männer sich über ihn lustig machten und ihn als »Kakadu« verspotteten –, dieser Mann war dahin, so wie das Lehmhaus dahin war und Lilian dahin war, und das Wesen, das an seine Stelle getreten war, wurde langsam verrückt vor lauter Unglück.
    Er ließ seinen Tränen freien Lauf. Wieso sollten sie nicht fließen? Wer sah sie denn? Wen kümmerte es, ob er weinte oder nicht? Seine Mutter hätte es vielleicht gekümmert, doch die lag in ihrem Grab in Rangiora, in einem billigen Sarg aus Totara-Kiefer, auf einem Friedhof, den niemand besuchen würde …
    Harriet hatte ihm von Lilians Beerdigung berichtet. In Parton Magna hätten wahrscheinlich die meisten Dorfbewohner und dazu noch die Hälfte aus Parton Parva der Frau des Viehauktionators ihr Beileid bekundet, aber in Rangioras Umgebung gab es kaum ein Dorf, das sie hätte betrauern können. Niemand hatte Lilian Blackstone gekannt, hatte gewusst, wie viel Mühe sie sich mit dem zerbrochenen Porzellan gegeben hatte, wie gern sie gesungen, wie akkurat sie genäht hatte. Die einzige Trauernde war Harriet gewesen. Joseph konnte sich vorstellen, dass seine Frau auch dabei »Haltung« gezeigt, ihre wenigen Gebete gesprochen und dann stumm zugesehen hatte, wie Lilian in ein Grab gesenkt wurde, das eine Art horizontaler Schürfschacht war, ein Grab aus blauem Ton.
    »Ich wusste nicht, was ich ihr als Beigabe in den Sarg legen sollte«, hatte Harriet ihm erklärt, »weil ich keine Ahnung hatte, welches ihr liebstes Stück war. Ich dachte an etwas aus ihrer Staffordshire-Sammlung, aber schließlich habe ich mich für die Pastellzeichung von dir entschieden, du als kleiner Junge, in einem weißen Kleid. Ich glaube, das hätte sie sich auch gewünscht. War das richtig?«
    Joseph hatte nichts gesagt. Wieder einmal war er sehr froh, kein Kind zu haben, das mit Spitzenrüschen und weißen Unterröckchen gedemütigt werden konnte. Er wünschte, es hätte ein Bild von ihm als Erwachsenem gegeben, in elegantem Überzieher und einer seidenen Halsbinde.
    »War das richtig, Joseph?«, fragte Harriet erneut.
    »Ich weiß es nicht, Harriet«, erwiderte er. »Wer kann das schon wissen?«
    Doch er konnte sich vorstellen, wie Lilians magere Hände ordentlich gefaltet auf dem Bild lagen.
    Tatsächlich konnte er sich seine tote Mutter sehr gut vorstellen, und ihm brach fast das Herz bei dem Gedanken, sie würde nun nie mehr Zeuge seiner Taten und möglichen Erfolge sein. Sie würde für immer tot in ihrem Sarg liegen, und ihre Finger würden zu Staub zerfallen, während sie auf

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