Die Farbe der Träume
wieder. Er nahm den Goldklumpen und ging zurück zum Gemüsegarten. Dabei scheuchte er eine Taube auf, die gerade einen Wurm verspeiste. Sie flog mit dem halb gefressenen Ding nur ein kleines Stück weiter, um es schnell ganz zu verschlingen, und das entlockte Pao Yi ein Lächeln.
Langsam ging er bis zu der Stelle, wo er unter der siebzehnten Zwiebelpflanze das Gold gefunden hatte. Die Pflanze sah so aus, als wäre, seit er sie eingesetzt hatte, nichts weiter mit ihr passiert, doch als er sie herausnahm, konnte er fühlen, wie diewinzigen Haarwurzeln sich in die Erde krallten, und Pao Yi dachte, dass fast jedes Lebewesen dazu neigt, sich festzuklammern, zu bleiben, wo es ist, während er selbst, so wie er beschaffen war, immer schon in einer Art Niemandsland zwischen Bleiben und Gehen existiert hatte.
Mit seinen verdreckten Fingen grub er ein Loch in die Erde, legte den Goldklumpen hinein, deckte ihn mit Erde zu und drückte dann ein Loch für den Zwiebelschössling hinein.
Er häufelte Erde um die Pflanze. Dann nahm er seine Hacke und verwischte all seine Fußspuren.
Er betrachtete sein Werk und beglückwünschte sich dazu, dass er seine Bedenken ernst genommen hatte. Jetzt hatte er das Gefühl, dass sein Gold sicher war. Doch er wusste, dass seine Arbeit noch nicht beendet war und dass er, nach einer verrückten Logik, den Höhleneingang erneut verschließen musste. Obwohl die Höhle jetzt nichts barg, sah er sich gezwungen, dieses Nichts zu ummauern. Er wusste, dass er sich so benahm, als enthielte die Höhle am Ende doch etwas, etwas, das auch er vielleicht noch nicht gesehen hatte. Als die Wand schon halb wieder stand, hätte er sie beinah ein zweites Mal niedergerissen, um innen nach dem unsichtbaren Etwas zu suchen. Doch er sagte sich, dass das nun wirklich kindisch sei. Er musste aufhören, es sich ständig anders zu überlegen, sonst würde er nie fertig werden.
Er machte weiter und war nach einer Stunde fertig. Trotzdem war beinah ein ganzer Tag vergangen mit seinem ständigen Hin-und-Hergelaufe zwischen Zwiebelbeet und Höhle – fast als wäre er ein Wasserbüffel. Jetzt war der Himmel schon dunkelviolett, und seine verschiedenen Gemüsepflanzen waren nur noch Schatten am Boden. Aber er hatte endlich das Gefühl, dass alles fast so war, wie es sein sollte.
Er hatte darauf gehofft, sehr gut zu schlafen. Aber er schlief unruhig und träumte viel.
Immer wieder sah er Chen Lin und Chen Fen Ming, die mit fehlenden Körperteilen umherirrten. Chen Fen Ming hatte nur ein Auge, und das glühte in flammendem Zorn, als verfluchte es den lebendigen Sohn.
Pao Yi erwachte und lag in seiner dunklen Hütte. Er spürte, wie sehr er seine Eltern vermisste. Die Sohnespflichten hatten stets eine große Rolle in seinem Leben gespielt. Er hatte versucht, sich den Launen seines Vaters anzupassen, als Fischer so geschickt wie Chen Lin zu werden, die Netze auf dem Reihersee genauso auszuwerfen wie er; er hatte sich hübsche kleine Überraschungen für seine Mutter ausgedacht, ihr beim Essen stets den Vortritt gelassen, auch wenn er fast ohnmächtig vor Hunger war, er hatte sich neben sie gekniet, wenn es an ihm war, ihr langes Haar zu bürsten und ihre wunden Füße zu massieren.
Er hatte versucht, in allem und jedem Chen Lin und Chen Fen Ming zu gehorchen. Jetzt gab es niemanden, dem er sich fügen, dessen gehorsamer Sohn er sein musste. Und Pao Yi wusste, dass jene festgefügte Ordnung der Dinge, mit der er gut gelebt hatte, zerbrochen war. Er hatte das Gefühl, irgendwo warte eine Art Chaos auf ihn, und ihm fiel nichts ein, womit er es hätte fernhalten können.
Er versuchte, sich Paak Mei vorzustellen, wie sie in seinem kleinen Haus in ihren perlenbestickten Pantoffeln umherschlurfte. Und auf einmal stellte er fest, dass dieses Schlurfen von Paak Mei, dem er sich so ganz und gar verbunden geglaubt hatte, ihn ärgerte. Vielleicht hatte es ihn schon immer geärgert, und er hatte es sich nur nicht eingestehen wollen. Oder hatte er es bisher nicht wahrgenommen? Er wünschte, seine Frau hätte einen eleganten Gang. Er wünschte, sie könnte springen und laufen wie ein Kind. Ihr Geschlurfe klang wie das Kichern eines Besens, der unablässig kleine Staubflocken auf ein immer weiter zurückweichendes Kehrblech zu schieben versucht. Es war lächerlich.
Als Pao Yi wieder schlief, träumte er von Tänzerinnen. Sie trugen rote Seidenröcke und Satinschuhe, und sie bewegten sich mit bezaubernd geschmeidiger Grazie. Ihre Füße
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