Die Farbe der Träume
hören«, sagte er.
Pare sah, dass Johnboy verärgert war. Sie befeuchtete ihren Mund, der vom langen Laufen durch den Arahura-Sumpf ganz ausgetrocknet war, und begann zu singen:
»Kei whea
Te ara
Ki raro?
Kei whea
Te ara
Ki raro?«
Sie hörte auf und sagte: »Nicht viel Wörter, aber wenn man sie immer wieder singt, dann kommt der Schlaf.«
»Was bedeuten sie?«, fragte Johnboy.
»Könnte ein Zauberspruch sein«, sagte Flinty. »Eine Beschwörung.«
Wo ist
der Weg
zur Unterwelt?
Wo ist
der Weg
zur Unterwelt?
So lautete die wahre Bedeutung der Wörter, aber Pare wusste, dass dies Flinty Fairford und Johnboy Shannon nichts sagen würde.
»›Wo ist der Weg zum Land des Schlafs?‹«, sagte sie. »Das fragt das Lied. Ganz einfach. Aber wenn man immer wieder fragt, findet man eine Antwort.«
»Für mich klingt das gut«, sagte Johnboy.
Das Graben im versteinerten Wald hatte wenig gemein mit dem Goldschürfen. Manchmal gab es eine Art Säule aus schwarzem Schlamm zwischen den Baumstämmen, die sich gut ausheben ließ, und dann entstand plötzlich so etwas wie ein Schacht, der bis ganz tief reichte, bis zu einem Grund, der wie Kohle glitzerte. Aber dieser Grund schien unerreichbar. Flinty hockte sich jedes Mal über solch einen Schacht, kniff die Augen zusammen, als würde er durch ein Teleskop blicken, und versuchte zu erkennen, was da unten verborgen lag. Er musste zugeben, dass manche dieser Schächte mit ihrem Glanz und ihrem Flimmern tatsächlich goldhaltig aussahen, und er grübelte über eine mögliche Schneidvorrichtung nach, die sich von oben betätigen ließ und mit der man die Kohle an die Oberfläche holen konnte, um zu sehen, was sie enthielt.
Er machte eine Reihe von Zeichnungen (in einem Notizheft, das so alt und schmutzig war, dass einige Seiten tatsächlichnoch von ranzigen Heringsschuppen aus Dover zusammenklebten), erst einen schlichten Bohrer, mit dem man die glimmernden Steine schneiden konnte, und dann einen schmalen Eimer, eine Art Kaffeebecher aus Blech mit einem langen, starren Griff, mit dem die Brocken hochgeholt würden. Im Geiste sah Flinty schon, wie schön seine Erfindungen funktionierten, und nicht ohne Stolz zeigte er die Skizzen Johnboy.
»Und woraus willst du das alles basteln?«, fragte Johnboy. »Aus Buchenzweigen?«
»Eisen«, blaffte Flinty.
»Oh, glänzende Idee!«, lachte Johnboy. »Wahrscheinlich siehst du schon die Eisenträger aus dem Schilf wachsen? Und fühlst auch schon die Hitze vom Schmelzofen da drüben hinter der Anhöhe?«
Flinty kehrte Johnboy den Rücken, legte sein Notizheft weg und betrachtete mit nun leidenschaftslosen Augen das geschwärzte Gitterwerk der Baumkronen, das ihre Grabungen zutage gefördert hatten.
Er starrte auf dieses Gitterwerk. Etwas Derartiges hatte er in seinen vierundfünfzig Jahren noch nicht gesehen. Und etwas daran fand er schön, etwas daran machte ihn stolz, und er versuchte zu begreifen, was das war, doch es gelang ihm nicht. Und dann dachte er, dies hier sei ein Ort, an dem er verloren war – nicht so, wie er und Johnboy in der Düsternis der Hurunui-Schlucht verloren gewesen waren, sondern eher ratlos, was all das bedeuten sollte. Und so stand er lange Zeit da und blickte auf den Wald, der aus der Tiefe kam, und rätselte, was er bedeuten mochte.
Im Grunde erwartete er, dass Pare ihm all dies erklärte. Doch immer wenn Flinty zu ihr hinüberschaute – zu der Maorifrau, der die beiden Männer mit ziemlicher Sicherheit das Leben gerettet hatten –, schien sie mit etwas beschäftigt zu sein, und die Arbeit ging ihr so leicht von der Hand, als fühlte sie sich hier zu Hause und hätte diese Dinge schon hundertmal getan. Unddennoch kam Flinty das, was sie tat, höchst außergewöhnlich vor: Sie flocht Binsen zu Fallen für Wekarallen; sie fing Frösche mit den Händen; sie watete barfuß durch den teefarbenen Morast und schwang dabei ein Messer, mit dem sie Aale so dick wie ein Männerarm tötete; sie zerrte einen flachen Stein, den sie als Feuerstelle benutzte, fast einen Kilometer vom Arahura-Fluss zum Lager; sie tötete Ratten, indem sie ihnen mit einem einzigen Dreh des Handgelenks das Genick brach.
Pare briet alles, was sie erwischen konnte, und Flinty aß es, und nach den ersten Tagen fragte er auch nicht mehr, was es war, weil er merkte, wie er wieder zu Kräften kam. Flinty begann, über seinen Körper nachzusinnen, der so lange vom Strandgut und den Früchten des salzigen Ärmelkanals gelebt hatte, von
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