Die Farbe der Träume
fand? Das Gold würde sie schließlich gegen Grünstein eintauschen, und sie dachte, das würde sehr einfach sein, denn das Einzige, was die Pākehā begehrten, war Gold.
Pare war sehr müde von der langen Wanderung. Sie spürte, dass ihre Füße wieder aufrissen und zu bluten begannen, aber das Blut hinterließ keine Spuren, es wurde vom Schlamm verschluckt. Und sie dachte, dass ihr ganzes Leben kaum Spuren hinterlassen würde, wenn sie starb. Obwohl sie sehr viel häufiger, als sie zählen konnte, von ihrem Pā bei Kaiapoi bis zur Orchard-Farm gelaufen war, würde auf den endlosen Kilometern Tussocksteppe kein Fußabdruck von ihr zu finden sein und auch kein Eindruck ihres Körpers im Toi-Toi-Dickicht.
Wir fliegen davon, dachte sie. Schon, während wir leben, schwinden wir langsam dahin, denn für immer weniger Menschen sind wir real und bedeutsam und strahlend. Und nun begriff sie auch, dass hier der wahre Grund für ihre lange, mühsame Reise lag: Edwin Orchard war der einzige Mensch, für den sie notwendig war.
Sie fand den toten Wald bei Sonnenuntergang.
Sie sah weiße Schatten über der Erde flattern und hielt sie für Patupaiarehe, blasse Geister, die in den dunstigen Hügeln lebten. Die Neugier dieser Geister auf menschliche Wesen war unersättlich, und sie begehrten ihre Schätze und verstanden es, Paläste und Wiegen aus Grünstein zu meißeln. Und Pare sah, dass die Patupaiarehe böse auf sie waren, weil sie ihnen nichts mitgebracht hatte.
Um sich vor den Patupaiarehe zu schützen, holte Pare ihr Fläschchen mit rotem Ocker hervor und rieb sich die Stirn damit ein, und die beiden Männer bemerkten es nicht, weil es schon fast dunkel war.
Doch den Pilzduft der begrabenen Bäume, den konnten sie riechen. Flinty nahm seinen Spaten und begann, den Morastaufzugraben, und dann fand er tatsächlich gebogene Äste und Stämme, schwarz wie Kohle, hart wie sein eigener Name, und Flinty und Johnboy starrten darauf, und beiden verschlug es die Sprache. Flinty fluchte.
Johnboy sagte: »Das würde ich gern meiner Mama zeigen. Ich würde gern ihr entgeistertes Gesicht sehen.«
Wegen des schwindenden Lichts wollten die Männer so schnell wie möglich ein Zelt aufbauen, aber der Boden in diesem Teil des Arahura-Tals war Sumpfland, und nirgends war die Oberfläche tragfähig und hart, weshalb Pare vorschlug, Decken als Hängematten zwischen den Bäumen aufzuspannen und darin zu schlafen. So würden sie trocken bleiben. Flinty jammerte, er könne nicht in einer Hängematte schlafen. Er müsse auf dem Bauch liegen, mit der Nase zur Erde, um Ruhe vor dem »Fegefeuer des Bewusstseins« zu haben. Aber Pare erklärte ihm, Maori könnten im Stehen schlafen, wenn sie sich ein bestimmtes Lied vorsangen, und das würde sie ihm jetzt beibringen.
»Was für ein Lied?«, fragte er streitlustig. »Sagen Sie bloß, ein Wiegenlied?«
»Nein«, sagte Pare. Aber das englische Wort für Wiegenlied, das sie schon so viele Jahre nicht mehr gehört hatte, erinnerte sie an die Zeiten, als sie Edwin noch mit Maori-Wiegenliedern in den Schlaf sang und seine kleinen Finger nach ihr tasteten und eine Strähne ihres schwarzen Haars griffen. Und sie musste dann immer seine kleinen Fäuste lösen und seine Arme ordentlich hinlegen, bevor sie auf Zehenspitzen sein Zimmer verließ. Und sie dachte, wie entsetzlich es war, dass das Leben sie hierher, in diesen Sumpf, geführt hatte, und nur, weil sie an jenem bewussten Nachmittag Tane, den Windgeist, im Garten von Orchard-Haus beleidigt hatte.
»Und?«, meinte Flinty. »Was für ein Lied ist das? Ich will jedenfalls nicht verhext werden.«
»Kein Hexenwerk«, sagte Pare. »Aber wenn Sie es nicht hören wollen, singe ich es Johnboy vor.«
»Meine Mama hat mir früher oft vorgesungen«, sagte Johnboy. »Ich weiß noch die Worte:
Mein Baby und ich
Backten Bienenstich.
Der Pudding war wirklich sehr lecker.
Wir setzten uns rein
Das war nicht sehr fein
Und ärgerte auch noch den Bäcker.
»Den Bäcker?«, sagte Flinty. »Welchen Bäcker denn?«
»Halt die Klappe, Flinty«, sagte Johnboy.
Er faltete seine Decke auseinander und suchte in den umstehenden Buchen nach stabilen Ästen, wo er sie aufhängen konnte. Er wünschte, er hätte nichts von seiner Mama und ihrem Schlaflied gesagt. Es kam ihm so vor, als hätte er damit ein Geheimnis, das sie beide seit mehr als zwanzig Jahren teilten, verraten und der boshaften Welt hingeworfen, die nichts von der Liebe verstand. »Ich möchte Pares Lied
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