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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Miesmuscheln, Venusmuscheln, Strandschnecken, Seeigeln, Napfschnecken und Austern. Nie aber hatte Flinty an einem richtigen Festmahl oder Bankett teilgenommen, er wusste weder, woraus ein Bankett bestand, noch, wie man die Tafel dafür deckte. Und jetzt begriff er, bei allem, was ihn sonst verwirrte, dass er schon immer ein Geschöpf am Rande der bekannten Welt gewesen war und dies auch immer bleiben würde, ein Plünderer und Strandräuber, und dass es jetzt zu spät für ihn war, dieses Schicksal zu ändern.
    Eines jedoch bekümmerte ihn: dass er älter wurde, dass er nur noch wenige Schritte vom Alter entfernt war. Und das war auch der Grund, weshalb er das Gold finden wollte: damit es diese Zuflucht auch gab, wenn das Alter tatsächlich da war und er aus der Wildnis zurückkehren und eine Zuflucht für sich finden musste.
    Er wünschte sich diese Zuflucht gar nicht pompös, er hasste Pomp in all seinen Ausformungen. Wenn er daran dachte, wie Königin Victoria ihre vielen gigantischen Paläste bewohnte, hätte er ihr am liebsten ein Messer in ihren milchweißen Busen gestoßen. Er entschied, dass sein Obdach nicht mehr als eine Hütte sein müsste. Mit einer einzigen Tür, und die wäre blaugestrichen. Es gäbe keine Blumen am Weg zur Haustür, und der Garten bestünde nur aus Kies und Seegras und Steinen.
    Johnboy hatte noch wenig konkrete Vorstellungen davon, was er mit seinem Gold machen würde. Nur eines wusste er schon mit Bestimmtheit: Er würde seiner Mutter Marie Geld geben, damit sie in einem besseren Haus wohnen und sich die schönen bunten Kleider leisten konnte, die ihr so gefielen. Und vielleicht würde sie dann auch einen Mann finden, der sie liebte und der bei ihr blieb.
    Solange Johnboy denken konnte, hatte Marie Shannon von seinem Vater erzählt. Blond wie ein Wikinger sei er gewesen, »mit einem wunderhübschen Flaum, golden wie Schlüsselblumen«. Als Johnboy dann größer wurde, fand er es merkwürdig, dass seine Mutter sich immer noch so gerne an einen Mann erinnerte, der sie im Stich gelassen hatte – einen Mann, der nicht einmal von der Existenz seines Sohnes gewusst hatte. Wie oft hatte Johnboy zu Marie gesagt, sie solle ihn vergessen. Ihre Antwort lautete stets, sie habe ihn längst vergessen, »aber hin und wieder kommt sein Körper zu mir zurück, und ich sehe seine Augen, die grün wie das Wintermeer sind«.
    Und daraus schloss Johnboy, dass manche Personen sich dagegen sträuben, vergessen zu werden. Fast, als hielte allein die Erinnerung eines geliebten Menschen sie warm oder bei Verstand oder befähige sie zu zärtlichen Gefühlen. Und dieser Wikingervater, der Jed geheißen hatte, war vielleicht solch ein Mensch. Und trotzdem machte es ihn zornig. Wie konnte Marie einen so grausamen Verrat verzeihen? Falls sein Vater jemals zurückkam, dachte Johnboy, würde er ihn bis ans Ende seiner Tage leiden lassen.
II
    Seit ihrer Ankunft beim begrabenen Wald, seit Pare die Patupaiarehe wie Geister über den Boden hatte huschen sehen, ließen sie sie nicht mehr in Ruhe.
    Pare beschmierte sich so lange mit dem roten Ocker, bis ihr Tiegel fast leer war, und trotzdem umtanzten und umflatterten die Patupaiarehe sie wie Schneeflocken, und manchmal stachen sie ihr ins Auge, und immerzu versuchten sie, ihr das kleine Stück Grünstein zu stehlen, das sie um den Hals trug.
    Sie machten sie mürbe. Noch im Schlaf hörte sie sie schwirren und jammern, und allmählich wurden ihre Nächte elend, und es fiel ihr immer schwerer, bei Tagesanbruch aus ihrer Hängematte zu klettern.
    Flinty und Johnboy schliefen stets wie tot. Pare musste sich immer mühsam ins Tageslicht kämpfen und starrte dann auf die Baumkronen, die aus der Erde ragten. Sie horchte, ob sich immer noch Patupaiarehe herumtrieben, obwohl die Nacht schon gewichen war. Und falls da noch welche waren, versuchte sie, sie wegzuwedeln, und dann stand sie da und betrachtete die zwei Pākehā, die wie Larven in ihren Hängematten hingen, und fragte sich, wann sie wohl endlich das Gold finden würden, von dem sie träumten.
    Die Tage vergingen, und es fiel Pare immer schwerer, die Aufgaben zu verrichten, die ihnen allen dreien das Leben sicherten. Sie hockte sich vor den flachen Stein, den sie vom Fluss hergeschleppt hatte, machte Feuer und kochte Wasser für den Tee, aber die Jagd nach Wekarallen und Aalen und das Töten von Ratten erschöpfte sie inzwischen in einem Maße, dass sie kaum noch den Arm heben mochte, und zwei Tage lang fand sie nichts

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