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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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langsam hob sie den schmerzenden Kopf und griff nach dem Grünsteinanhänger, zog ihn über den Kopf und legte ihn sich auf die Brust, oben auf ihre Decke, und wartete.
    Sie glaubte zu hören, wie die Geister in ihrem Verlangen nach dem kostbaren Grünstein zu singen begannen.
    »Nehmt ihn«, flüsterte Pare. »Nehmt ihn. Das ist alles, was ich habe.«
    Sie schloss die Augen. Sie wusste, dass die Patupaiarehe nie etwas nahmen, wenn sie beobachtet wurden, sondern nur, wenn das menschliche Auge sich abwandte. Sie spürte das Gewicht des Anhängers unveränderlich auf ihrer Brust, und dann fiel sie in einen schweren, traumlosen Schlaf, und als sie erwachte und Licht durch die Schwarzbuchen fiel, langte sie mit der Hand an die Stelle und tastete nach dem Anhänger und stellte fest, dass er fort war.
    Der Verlust des Grünsteinanhängers schuf plötzlich ein hohles Gefühl in Pares Gliedern, als hätten die Patupaiarehe ihr das Mark aus den Knochen gesogen. Und sie merkte, dass sie sich kaum mehr bewegen konnte.
    Sie blickte sich suchend nach den beiden Männern um, konnte aber nur eine Hängematte sehen. Etwas später kam Johnboy, brachte ihr Wasser und sagte, Flinty Fairford habe seine Sachen gepackt und sei weitergezogen.
III
    Pare fiel ins Delirium. In ihren Träumen schwärzte der Zorn Tanes die Luft.
    In den folgenden Tagen spürte sie, dass hin und wieder ein Wesen in ihrer Nähe war, und manchmal rief sie den Namen »E’win« und fragte: » E’win, bist du da ?«
    Eine Antwort kam nie, aber sie konnte sich nicht denken, wer es sonst sein sollte, und auch die Gestalt, die sich über sie beugte, erkannte sie nicht, denn sie wäre nicht auf die Idee gekommen, dass Johnboy Shannon geblieben war, um sie zu pflegen, geblieben, weil er Verrat hasste.
    Er tat, was er konnte. Er hatte seine Mutter gepflegt, als sie Scharlachfieber hatte. Er lief ständig zum Fluss, um frisches Wasser zu holen. Er legte Pare kühle Tücher auf die Stirn, die immer noch Ockerflecken hatte. Er wischte Insekten aus ihren Haaren. Er sang ihr sein altes Kinderlied:
    »Mein Baby und ich
    Backten Bienenstich
    Der Pudding war wirklich sehr lecker …«
    Er tötete einen Wasservogel, kochte ihn, zerkleinerte das Fleisch und versuchte, es Pare in den Mund zu löffeln, doch sie brachte gar nichts herunter. Er erzählte ihr von seiner Mutter Marie und ihren bunten Kleidern und dem Haus, das er für sie bauen würde, wenn er sein Glück gemacht hätte.
    Pare hörte sehr wenig von alledem. Sie wusste, dass sie noch eine letzte, herzzerreißende Aufgabe hatte: Sie musste sich selbst aus Edwin Orchards Welt entfernen. Sie wusste, dass ihr Schicksal besiegelt war, aber sie dachte, wenn sie sich von der stabilen Landschaft, die Edwin umschloss, fernhalten, ihn dort zurücklassen könnte, dann gäbe es nur einen Tod – ihren eigenen –, aber nicht zwei.
    Und so musste sie die ihr gebliebene Willenskraft darauf verwenden, sämtliche Orte in der Pākehā-Welt, die sie jemals betreten hatte, wieder aufzusuchen und jede Spur von sich selbst darin zu tilgen, jeden von ihr niedergetretenen Grashalm wieder aufzurichten, jeden noch in der Luft hängenden Duft ihres Körpers, jede Restwärme auf Dingen, die sie berührt hatte, zu beseitigen.
    Ihre Spuren im Orchard-Haus zu beseitigen, in das sie seit dem Tag des wütenden Winds keinen Fuß mehr gesetzt hatte, das schien ihr nicht schwer zu sein. Aber als Pare im Geiste die Toi-Toi-Grassteppe erreichte, stellte sie fest, dass der Eindruck ihres Körpers im Gras noch zu sehen war. Sie versuchte, die drahtigen Halme wieder aufzurichten, ihre eigene Gestalt auszulöschen. Doch je mehr sie versuchte, sich aus diesem Ort zu entfernen und alle Spuren zu löschen, umso tiefer grub sich der Abdruck ihres Körpers in das Toi-Toi-Gras.
    Mit der gesammelten Kraft ihres Verstandes und ihres Willens ging sie an die Arbeit, aber je verzweifelte sie versuchte, sich zum Verschwinden zu bringen, umso zärtlicher rief die Erde, sie solle den Abdruck stehen lassen, und die Toi-Toi-Halme flüsterten ihrer Seele zu, sie solle dort bleiben, und selbst der blaue Himmel und die Sonne bedrängten sie so hartnäckig, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als zu gehorchen, sich still zu verhalten, sich auf den Boden zu legen, ihren Körper in die Kuhle einzupassen, die er vor langer Zeit eingedrückt hatte, und die Augen zu schließen. Und es dauerte nicht lange, und sie hörte eine vertraute Stimme.
    Pare, bist du da? Pare, bist du

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