Die Farbe der Träume
dunklen kleinen Haus und legte sie nieder und zündete ein Feuer an, damit Wärme in ihre Adern zurückkehrte, und er hörte, wie sie zu plappern und zu kichern begannen:
»Oh, und hast du auch gesehen, wie nah wir ans Wehr geraten sind, Lin? Es waren wirklich nur noch Zentimeter. Wir waren nur eine Fischlänge von der Kante entfernt!« »Du meine Güte, ja! Was haben wir für ein Glück gehabt, Fen Ming! Wir könnten tot sein, Pao Yi, und du wärst ein Waisenkind. Wie traurig! Ein elternloses Leben voller Kummer und Wirrnis, ha, ha! Aber du hast uns gerettet und auch dich gerettet. Welch ein Wunder!«
Obwohl Pao Yis Eltern natürlich tot waren, freute ihn dieser Traum immer. Und mit am meisten gefiel ihm daran, wie außerordentlich klug er sich jedes Mal aufs Neue bei der Rettung verhielt.
Er hatte noch nie eine andere Frau als Paak Mei entkleidet.
In seiner eigenen Sprache entschuldigte er sich bei Harriet dafür, merkte aber, dass sie ihn nicht hörte.
Er sah, dass ihre Hände und Arme von der Sonne gebräunt waren, doch ihr Körper war durchscheinend weiß wie eine Zwiebel, und ihre Brustwarzen waren dunkel wie rote Rüben. Sie hatte schlanke, fein geschwungene Füße, und Pao Yi bewunderte ihre geraden Zehen. Um sie zu wärmen, nahm er ihre Füße in seine Hände und legte sie dann auf seine Schenkel.
Er kleidete sie in seine eigenen Baumwollsachen – eine Jacke und weite Hosen – und legte sie auf seine Matte und breitete Tücher und Decken über ihr aus.
Er machte ein kleines Feuer und öffnete seinen selbst gebastelten Lüftungsschlitz im Dach, der aus einem Blumentopf bestand und dafür sorgte, dass fast aller Rauch abzog. Dann hockteer sich vors Feuer, um auch sich aufzuwärmen, ließ aber Harriet nicht aus den Augen. Ihr Körper schien den ganzen Raum um ihn herum einzunehmen. Niemand sonst hatte in all der Zeit, die er hier lebte, jemals seine Hütte betreten. Er begann, seinen Zopf zu lösen.
Als er endlich trocken und warm war, setzte er Wasser auf und kochte einen Tee aus Minzeblättern und Wacholderbeeren und hob Harriets Kopf vorsichtig an, damit sie trinken konnte. Und er sah, dass sie ihn anschaute, neugierig und ohne Angst. Das Gefühl ihres Nackens in seiner Hand hatte etwas beunruhigend Intimes. Er versuchte zu lächeln, versuchte ihr zu verstehen zu geben, dass sie in Sicherheit war. Sie fragte nach Lady, der Hündin, und er wollte ihr erklären, dass die Flut das Tier wahrscheinlich in den Tod gerissen hatte, aber ihm fehlten die Worte dafür. Und sehr bald legte er ihren Kopf auf die Matte zurück und sah ihr zärtlich zu, wie sie erneut in Schlaf sank.
Jetzt fühlte Pao Yi sich sehr müde. Er nahm die letzte dünne Decke, die noch übrig war, wickelte sich hinein und legte sich auf den harten Boden. Er hörte, wie draußen der Fluss weiterrauschte und ihn und seinen Garten hinter sich zurückließ. Sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen galt dem Goldklumpen, der unter der siebzehnten Zwiebel begraben lag.
VI
Harriet erwachte im Dunkeln.
Zu ihrer Linken, wo das Feuer niedergebrannt war, glomm es noch ein wenig, und Harriet fiel ein, dass sie in Flammen gestarrt und sich dazu eine seltsame Frage gestellt hatte, ohne sie beantworten zu können.
Und jetzt merkte sie, dass sie auch sonst auf absolut nichts, was sie selbst betraf, eine Antwort wusste. Sie wusste einzig, dass die Flut gekommen war und sie sich plötzlich im Flussbefunden hatte. Aber wieso war sie im Wasser gewesen? Jetzt fror sie, schien aber in Sicherheit zu sein, auf einer Matte im Dunkeln, bei der roten Glut eines Feuers. Doch das hier war nicht ihr Zelt, so viel wusste sie. Aber wieso war sie nicht ertrunken?
Sie zog die Decke fester um sich, starrte in die Dunkelheit und versuchte, Umrisse von irgendwelchen Dingen zu erkennen, aber nichts ergab einen Sinn. Wie herrlich wäre es, dachte sie, wenn sie ein Stück Holz in Reichweite entdecken und ins Feuer werfen könnte, denn dann hätte sie nicht nur mehr Wärme, sondern auch mehr Licht. Doch es gelang ihr nicht, sich zu bewegen. Der Kopf tat ihr weh, und ihr Hals war ausgetrocknet. Aber was konnte sie schon dagegen unternehmen?
Harriet blieb also still liegen und horchte. Die Nacht schien ruhig zu sein, nur der Fluss rauschte vorbei, sie hörte Wasser gegen Steine schlagen. Und da kam ihr der Gedanke, ob der Fluss ihr etwa das Zelt und alles, was sie besaß, genommen hatte, auch ihren Goldschatz. Sie wusste, wie leicht so etwas geschehen konnte, und hatte
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