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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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stoische, freundliche Menschen waren. Vielleicht hätte er doch Freundschaften schließen und – wenn Will Sefton nicht gewesen wäre – Kameraden finden können, mit denen er sich hätte betrinken können, dann wäre er nicht so allein gewesen. Doch all dies hatte keine Bedeutung mehr. Jetzt waren sie alle auf dem Rückweg nach Hokitika. Die Provinzverwaltung von Canterbury würde Hilfsgelder bereitstellen müssen …
    Schon von Weitem sah Joseph, dass McConnells Schöpfwerk noch stand, ebenso wie zwei oder drei Zelte dahinter. Doch der Fluss flutete jetzt in kaum einem Meter Entfernung daran vorbei, und fast der ganze Brenner-McConnell-Claim stand unter Wasser. Kein einziger Goldgräber schien sich zum Bleiben entschlossen zu haben.
    Dennoch blieb Joseph, als er den Claim erreichte, einen Augenblick auf dem schlammigen Boden stehen – auf ebendieser Erde, die Hamish McConnell und seinem Partner so viel Glück gebracht hatte – und fragte sich, ob McConnell wohl noch am Leben war und sein Schloss in Schottland würde bewohnen können.
    Und er versuchte, sich schon die Nachrufe auf den Goldrausch vorzustellen, überlegte, was danach kommen und wie sich das Land verändern würde und wer am Ende wohl die Gewinner und wer die Verlierer waren. Doch er hatte keine Antworten auf all diese Fragen. Jetzt sah er allein das Leid, das das Gold über die Schürfer von Kokatahi gebracht hatte. Und auch wenn ihn die Vorstellung von McConnells Protzgebäude einst vor Neid halb verrückt gemacht hatte, hoffte er jetzt geradezu, dass derMann sein Schloss bekam und wie ein Aristokrat darin leben und jedem ins Gesicht spucken würde, der auf ihn herabsah – vorausgesetzt, er vergaß nie, dass er sein ganzes Glück dem Wühlen in der Erde verdankte. Denn wenn McConnell scheiterte, was blieb dann noch an Hoffnung für ihn und all die anderen?
    Er trottete weiter. Schon sah er die Sonne sinken und fürchtete, von der Dunkelheit überrascht zu werden. Kurz bevor er Kaniere erreichte, sah er eine Leiche, die an das breite Ufer geschwemmt worden war. Etwas weiter weg hockte ein ganzer Schwarm Seemöwen, und Joseph blieb stehen und starrte sie an. Er rief laut, versuchte sie fortzuscheuchen, aber sie rührten sich nicht. Sie warteten geduldig auf den Beginn ihres Festmahls. Da rannte Joseph auf die Seemöwen los, schwenkte wie ein Irrer sein nasses Hemd und schrie, so wie er häufig als kleiner Junge geschrien hatte, und die Vögel hüpften über den Schlick davon und flogen träge auf, doch nur, um über ihm zu kreisen. Er wusste, sie würden bei nächster Gelegenheit wieder landen.
    Er ging zu der Leiche und drehte sie um. Halb fürchtete er, es sei McConnell, aber es war ein Mann, den er nicht kannte. Und der Mann lächelte auf eine merkwürdige Weise, beinah glücklich, so als hätte er soeben zum ersten Mal Gold auf seinem Claim entdeckt. Für Joseph war dieses Lächeln das Schrecklichste, was er in all dieser langen, entbehrungsreichen Zeit gesehen hatte. Ohne recht zu wissen, was er da tat, wickelte er den Kopf des Mannes in sein nasses Hemd. Er band es fest zu.
    Lass gut sein , murmelte er. Lass gut sein .
II
    Jetzt saß Joseph an einem Feuer und versuchte, einen Teller mit Kūmara zu essen, die er zu heiß und zu eklig fand, weshalb er sie immer wieder an den Tellerrand legte.
    »Essen Sie«, sagte die Frau. »Sie sollten etwas essen.«
    Er machte einen neuen Versuch, konnte die Kūmara aber nicht hinunterschlucken, nahm einen Klecks süße rote Soße und musste würgen.
    Er war in einer der schäbigen Hütten untergekommen, die am Kai von Hokitika standen. Die Witwe Ernestine Boyd hatte ihn, zusammen mit zwei anderen Überlebenden, aufgenommen, die drei mit den geflickten und gestopften Kleidern ihres verstorbenen Mannes ausgestattet, ihnen von dem zu essen gegeben, was sie hatte – und das waren eben diese Süßkartoffeln in ihrer blutroten Soße –, und sie mit alten, zerschlissenen Decken aus ihrem eigenen Bett versorgt.
    Als sie das Essen austeilte, sagte einer der beiden anderen Männer: »Sollen wir eine Münze werfen, wer Ernestine heute Nacht wärmt, wo sie doch all ihr Bettzeug weggegeben hat?« Der Mann war Mitte zwanzig, und Joseph blickte ihn an und sah, dass er seinem Kumpel zuzwinkerte und dass die Witwe Ernestine beide anlächelte, woraus er schloss, dass er, wenn die beiden ihre Portion Kūmara aufgegessen hätten, allein vorm Kamin schlafen konnte.
    In Hokitika hatte Joseph niemanden getroffen, den er

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