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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Er wusste auch, dass er Glück hatte, weil dieser achte Schacht am Ende seines Claims lag, am weitesten vom Fluss entfernt. Und als er hochtauchte, um Luft zu holen, sah er, dass ihn nur wenige Schritte vom Manuka-Buschland trennten, wo der Boden noch trocken war.
    Als er das nächste Mal hochkam, sah er zusammengedrückte Zelte und zerschmetterte Hüttenteile auf dem Wasser treiben, und eines dieser Zelte war seins, wahrscheinlich mit allem darin, was er besaß, darunter auch seine Flinte und seine Waschwiege und der Becher mit dem Gold, den Harriet ihm gegeben hatte, und der kostbare Goldstaub, den er vor so langer Zeit am alten Bach gefunden hatte.
    Und während Joseph seinem verschwindenden Zelt hinterhersah, schoss ihm durch den Kopf, wie die Flutwelle in wenigen Minuten den Schotten-Claim erreichen und sich auf Hamish McConnell und seine ausgeklügelte Maschinerie und auch auf Will Sefton werfen würde. Und die Vorstellung, dass Will ertrinken könnte, hatte trotz allem, was geschehen war, etwas sehr Wehmütiges. Im Geiste sah er Wills Blechflöte wie ein Miniaturfloß in der Strömung treiben, sie hielt sich sehr lange über Wasser und hüpfte auf den Wellen, bis sie schließlich in die Tiefe gerissen wurde.
    Und die ganze Zeit, während Joseph da in dem eiskalten Schacht hing, dachte er nicht ein einziges Mal an Harriet. Ein Teil seines Verstandes mochte ihm zwar sagen, dass die Flut aus den Bergen am Ende des Styx-Tals gekommen sein musste, wo Harriet ihren Kiesstrand durchkämmte. Aber irgendwie wollte er glauben, dass das Wasser seine eigentliche Kraft erst hier in Kokatahi entfaltet hatte. Und deshalb würde es Tote auch nur hier und in Kaniere geben, es wären Goldgräbertote, tote Männer , tote alte Hasen und Frischlinge. Die gesamte übrige Welt würde verschont bleiben, so wie sie in den Tagen, die er hier durchlitten hatte, verschont geblieben war.
    Erst einige Zeit später – als er spürte, wie das Blut in seinen Adern zu gefrieren begann, und begriff, dass er hier im Wasser krepieren würde, wenn er nicht bald versuchte, den Streifen trockenen Lands zu erreichen –, erst in dem Moment, als Joseph sich zum Handeln gezwungen sah, erfasste er die furchtbaren Konsequenzen der Katastrophe: Harriet könnte ebenfalls ertrunken und das gesamte Gold verloren sein. Ihr wundersamer Fund – das Einzige was ihn davor bewahrt hatte, vor Enttäuschung und Ärger verrückt zu werden – war ihm womöglich genommen worden.
    Und es war wohl die verzweifelte Wut darüber, die neue Energie in Josephs Körper pumpte und seinen Armen eine mörderische Kraft verlieh, so dass er sich aus dem Schacht ziehen und auf Händen und Knien durch die wogenden Wellen zu dem Manuka-Gebüsch kriechen konnte. Er packte einen dornigen Ast, wusste, dass er zäh war und nicht brechen würde, schwang sich, ungeachtet seiner Kratzer und Schnitte, in die Büsche und blieb einfach im stacheligen Laub liegen.
    Nach einer Weile stand er auf. Er zitterte vom Schock und von der Kälte, aber auch, weil ihn Entsetzen und Furcht schüttelten – über all das, was ihn umgab, und vor all dem, was noch kommen würde. Es regnete nicht mehr, und über dem Fluss, der auf seinem neuen tödlichen Kurs dahinschoss, lag der Glanz einer kalten Sonne. Er sah, dass von den Waschbergen, die die Ufer gesäumt hatten, nichts mehr übrig war und von all den notdürftigen Behausungen keine mehr stand.
    Wenn Joseph die Möglichkeit gehabt hätte, ein Feuer zu machen, um wieder warm und trocken zu werden, hätte er vielleicht versucht, anschließend flussaufwärts zu laufen, dorthin, wo Harriet ihr Zelt aufgeschlagen hatte. Doch es gab nichts. Und er wusste, in der kommenden kalten Nacht könnte er leicht an Unterkühlung sterben.
    Er zog sein vollgesogenes schweres Hemd aus und versuchte, Hals und Arme mit Gras zu trocknen. Dann machte er sich auf den Weg zum McConnell-Claim und zum Hilfe versprechenden fernen Hokitika.
    Der Pfad war verschwunden. Joseph musste sich selbst einen Weg bahnen, über Felsen klettern, große Steine umgehen,durch Gebüsch kriechen und sich verwegen an Bäumen festhalten, um nicht in das aufgewühlte Wasser zu rutschen. Weiter vorne sah er andere Überlebende dieselbe lange, mühsame, wehmütige Reise machen. Er sah, wie einige Goldgräber sich aneinanderklammerten, fast so, wie Liebespaare sich umarmen, und ihm kam der Gedanke, dass all die Männer in Kokatahi, die er für ungehobelt und vulgär gehalten hatte, vielleicht doch eher

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