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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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–, aber sie spürte, wie schon die Suppe allein sie merklich kräftigte.
    Dann beschrieb sie die Grabungen in Kokatahi, schrieb von den primitiven, zugigen Baracken und davon, dass sie den Eindruck nicht loswurde, es hätten dort Verhältnisse wie nach einem schrecklichen Unglück geherrscht. Als hätte ein Erdbeben stattgefunden und die Goldwäscher würden nun versuchen, das Verlorene wieder aufzubauen. » Ich weiß «, schrieb sie, » dass das unlogisch ist, und trotzdem hält sich in meinem Kopf dieses Gefühl, dass es eine Katastrophe geben wird, über die niemand sprechen möchte. Ich schließe daraus, dass ich, weil ich so viel mit meinen Gedanken allein bin, die Welt allmählich verkehrt herum sehe … «
II
    Nachdem der Regen so lange die hohen Berggipfel gewässert hatte, sickerte er jetzt nach und nach zwischen den durchlässigen Felsen bis tief hinunter zu den unterirdischen Quellen und füllte sie allmählich, und diese verborgenen Quellen flossen nun ineinander und begannen eine komplizierte Unterhaltung in der Tiefe.
    Niemand hörte diese Unterhaltung. Weder Harriet und Pao Yi noch Joseph und die anderen Goldgräber in Kokatahi – keiner hörte auch nur das Geringste. Dabei wurde dieses Wassergeplauder mit jeder Stunde lauter und lärmender, bis es sich schließlich aus seiner unterirdischen Gefangenschaft befreite. Es stieg auf, drängte zwischen den Felsen nach oben und platzte geräuschvoll ins Freie. Für einen kurzen Augenblick gurgelte und zitterte der Wasserschwall an der farnbewachsenen Felskante. Dann stürzte er sich als donnernder Katarakt in den Fluss.
    Die Hündin Lady hörte ihn als Erste. Sie stand am Ufer und ging ihrer Lieblingsbeschäftigung nach – versuchte, kleine Fische zu schnappen, die in Reichweite ihrer Schnauze vorbeischwammen. Sie hob den Kopf und horchte. Inzwischen waren ihr die Geräusche des Buschs vertraut, sogar das plötzliche Umstürzen eines Baums oder die Kaskade herabfallenden Gerölls. Doch dies hier klang neu in ihren Ohren, unbekannt und beängstigend, und so begann sie zu jaulen.
    Harriet, die als Schutz vor dem Regen ihr Tuch und ihre alte Strickmütze trug, untersuchte etwas weiter flussabwärts gerade einen Stein, der ihr wie Grünstein vorkam. Er fühlte sich erstaunlich glatt an, als hätte das unaufhörliche Schurren und Rollen zwischen den kleineren Steinen ihn poliert. Harriet war so mit dem Grünstein beschäftigt, dass sie kaum auf Ladys Jaulen achtete, doch dann vernahm auch sie das Donnern, das aus der Richtung der Schlucht kam. Und als sie hochblickte, sah sie eine weiße Wasserwand wie einen einzigen großen Brecher um die Biegung des Flusses heranbrausen. Und bevor Harriet überhaupt schreien konnte, erfasste die Welle Lady und riss sie mit sich fort.
    Die Woge brach sich nur wenige Zentimeter vor Harriets Füßen und räumte dabei fast vollständig den Kiesstrand ab, auf dem das Zelt stand. Nach der ersten Welle kam eine zweite und dann eine dritte, und dann beruhigte sich der Fluss, stieg aber immer höher, weit über die Ufer hinaus, und die Strömung schäumte und wirbelte.
    Harriet band ihre Stiefel auf, schleuderte sie fort, nahm die Mütze vom Kopf und das Tuch von den Schultern und watete in das eisige Wasser. Sie rief nach Lady, verstummte aber sofort wieder, denn die Flut nahm sie in ihre kalten Arme, und sie verlor den Halt.
    Wasser strömte ihr in den Mund, und ihre vollgesogenen schweren Röcke zogen sie in die Tiefe. Sie trat um sich, strampelte gegen den Sog der Röcke an, versuchte, sich nach oben, zu der aufgewühlten Helligkeit über ihr hochzukämpfen. Ihre Lunge brannte, die Eiseskälte des Wassers marterte ihre Haut, schickte Schockwellen durch ihre Knochen.
    Jetzt war ihr Kopf über Wasser, sie hustete, würgte, schluckte Luft und sah den Himmel für einen kurzen, weißen Augenblick, aber ihre Kleidung zog sie wieder nach unten, und der Himmel verschwand ein zweites Mal, und Harriet Blackstone wusste, sie war kurz davor zu ertrinken.
    Sie fiel in eine grüne Dunkelheit. Aber immer noch kämpfte sie,trat gegen die Rockbahnen, die sich um ihre Beine wickelten, paddelte wie wild mit den Armen, und schließlich platzte noch einmal eine helle Himmelsblase über ihrem Gesicht, und sie versuchte, sie zu halten, versuchte, den Himmel über sich festzuhalten, versuchte, wie jene Rose am Ende des Wasserfalls zu sein, die aufsteigt, indem sie ertrinkt, die »hartnäckig wiederaufersteht«.
    Sie hörte sich kreischen, als könnte

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