Die Farbe der Träume
die Zeit stehengeblieben war, als wäre die Feder einer Uhr bis zum Anschlag aufgezogen und dort arretiert worden.
Sie hörte nicht, dass er sich bewegte. Sie dachte, dass er immer noch an der Stelle stand, an der er gestanden und die verblassten Bilder angeschaut hatte. Aber dann spürte sie, an seiner Wärme und seinem Geruch, dass er neben ihr war, und sie hob den Kopf und schaute ihn an. Und sie wurde wieder daran erinnert, wie absolut traurig seine Augen waren, doch jetzt bemerkte sie, dass sein Mund auf eine Weise sinnlich geschwungen war, wie sie es bei niemandem zuvor je gesehen hatte, und sie konnte nicht anders und musste die Hand ausstrecken und sich, zögerlich wie eine Blinde, zu ihm vortasten und seine Lippen mit den Fingern berühren.
Und selbst jetzt noch, während sie seinen Mund berührte und er sie so bestimmt anblickte wie eben noch seine Familie, hatte Harriet große Angst, dass er sich ihr plötzlich entziehen würde, als wäre das, was gerade geschah, ein Versehen, ein sehr peinliches Versehen, weshalb er es zu einem raschen, schrecklichen Ende bringen würde. Doch Pao Yi entzog sich nicht. Er griff nach Harriets Handgelenk und drückte ihre Hand an seine Lippen und küsste sie.
Nach einer Weile ließ er ihre Hand sinken und legte sie ihr auf die Brust. Dann schlug er ihr Bettzeug zurück und betrachtete sie, wie sie da in seiner Kleidung lag, und er beugte sich vor und nahm ihren einen Fuß in seine beiden Hände. Er streichelte den Fuß und schien jeden einzelnen Zentimeter zärtlich zu untersuchen, und dann rückte er ganz allmählich näher, hielt ihr Bein einen Moment lang hoch wie das einer Tänzerin, griff nach unten und holte sein Geschlecht heraus, das erigiert war, und dann beugte er ihr Knie und bog ihr Bein nach unten, bis ihr Fuß seinen Penis berührte, und dann rieb er sich an ihrem Fuß. Und jetzt sah Harriet, wie die Traurigkeit in seinen Augen einem Ausdruck reinen Staunens wich.
Das Gefühl seines kräftigen Geschlechts an ihrem Spann, die ebenso schamlose wie ergreifende Intimität seiner Gesten verschlugen ihr den Atem. Nichts in ihrem Leben schien jemals so erstaunlich, so köstlich und so reich an Verheißung gewesen zu sein wie dieser Augenblick. Und sie hatte den Eindruck, Zeit ihres Lebens habe das Begehren in ihr geschlafen und sich nicht gerührt, so dass sie schon geglaubt hatte, sie werde es nie fühlen und werde durch die mittleren Jahre und durchs Alter gehen, ohne je zu erfahren, wie es sein könnte.
Doch jetzt war es geweckt worden durch diesen Mann hier. Sie flüsterte seinen Namen: »Pao Yi.«
IV
Dreißig Schilling erhielten die Goldgräber, die in Kokatahi und Kaniere mit dem Leben davongekommen waren – genau die dreißig Schilling, die ihr Claim sie jeweils gekostet hatte, nicht mehr und nicht weniger. Ein Zeitungsartikel wurde an die Tür des Verwaltungsbüros geheftet, in dem den Hilfesuchenden erklärt wurde, dass die Großzügigkeit der Provinzregierung von Canterbury auf den Goldfeldern »weder früher noch jetzt« ihresgleichen habe.
Und so stellten sie sich vor dem Büro gehorsam an und nahmen das Geld in Empfang und fragten sich, wie lange es wohl reichen mochte. Danach stellten sie sich bei der Verteilung vonSchaffellen an, die nach Desinfektionsmitteln rochen, und nach Dosen mit Kondensmilch aus dem Lagerbestand eines Lebensmittelladens.
Joseph wohnte weiter bei Ernestine Boyd, kämpfte mit den mageren Mahlzeiten, die sie kochte, und versuchte, zu Kräften zu kommen, weil er endlich den Fluss hinaufreisen und nach Harriet und ihrem Gold suchen wollte.
Doch bei dem Gedanken an den langen, beschwerlichen Weg durch das Kokatahi-Tal fühlte er sich schwach und schwindelig. Er wusste, dass er am Ende seiner Kräfte war. Er sehnte sich danach, ein Schiff zu besteigen, in einer schmalen, weichen Koje einzuschlafen und erst wieder aufzuwachen, wenn es in England gelandet war. Die Aussicht, nie mehr dorthin zu kommen, nie bei den Millwards Abbitte leisten zu können, nie den Wildblumenduft auf Norfolks Wiesen zu riechen, lastete unerträglich schwer auf seiner Seele. Plötzlich schien nur noch dieser eine Wunsch in seinem Kopf zu existieren – er wollte wieder nach Hause. Der Mann, der so optimistisch das Land am Okuku gekauft und von einer Farm geträumt hatte, schien ein anderer gewesen zu sein, irgendein überstürzt handelnder Blinder voller Illusionen, mit dem er nicht mehr sprach und den er nicht mehr kannte.
Er verschob den Aufbruch
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