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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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ausgestrahlt hatten. Besser als jeder andere schienen sie zu wissen, wie bitter und mühsam es war,in dieser Welt zu überleben und womöglich sogar erfolgreich zu sein. Und deshalb hatten sie sich wohl entschieden, ihre Hoffnung und ihre Kraft in kleine Dinge zu setzen, keine grandiosen Träume zu träumen, und so gaben sie sich auch damit zufrieden, geduldig dort in der Erde zu wühlen, wo andere längst weitergezogen waren.
    Er stellte fest, dass er sie um diese Fähigkeit beneidete, und dass in seinem eigenen Kopf seit je nur wildeste Pläne und Wünsche herumspukten, die ihn nicht einmal jetzt zur Ruhe kommen ließen. Und er fürchtete, auch in Zukunft so leben zu müssen, mit dieser brennenden, ungestillten Sehnsucht. Er blickte wieder zu dem Gemüsegarten und begriff noch etwas: Jetzt, wo die Goldgräber verschwunden waren, fehlten Skorbut-Jenny die Kunden für sein Gemüse. Doch der Garten sah trotzdem so frisch gehackt und gejätet aus, als schere Chen sich nicht um Kundschaft, als sei es der Garten als solcher, der für ihn zähle, und nichts sonst sei wichtig für ihn. Joseph dachte: Diesen Gemütszustand möchte ich auch erreichen, einen Zustand, in dem mir das wichtig ist, was ich schon habe.
    Er wanderte weiter. Er wusste, dass der Kiesstrand, wo Harriet das Gold gefunden hatte, nicht mehr weit sein konnte. Aber jetzt fürchtete er sich plötzlich vor der Ankunft, fürchtete sich vor dem, was er vorfinden würde. Sein Schritt wurde zögerlicher, sein Atem ging mühsamer, das Schaffell juckte, und er begann zu schwitzen.
    Wieder blickte er zum Himmel, der immer weiter aufklarte. Und er war nicht sicher, ob er jetzt vielleicht nach kräftigen Schneewolken suchte, weil er einen Grund zur Umkehr brauchte. Doch der Himmel hatte kein Erbarmen. Für einen Moment sah Joseph Lilian vor sich, wie sie in der Ebene stand und zum Regenbogen hochschaute. Und er dachte, dass ihn schon sehr lange niemand mehr beim Namen genannt hatte.
    Er bewegte sich wie ein Schlafwandler voran. Das Herzklopfte ihm in der Brust. Er begann, ein lang vergessenes Gebet zu murmeln.
    Jetzt hatte er die Biegung des Flusses erreicht. Und jetzt sah er Harriets Zelt. Galle sammelte sich in seinem Mund, er spuckte ins Gras.
    Das Zelt hing zwar bedenklich schief, stand aber immer noch am Ende des Ufers. Nichts rührte sich. Joseph hielt sich wie ein alter Mann an seinem Stock fest, starrte töricht auf die Szenerie und versuchte, ohne näher heranzugehen, zu begreifen, was sie ihm zu sagen hatte. Er war wie versteinert, öffnete den Mund, um den Namen »Harriet« auszusprechen, konnte es aber nicht. Und in dem Augenblick fiel ihm Lady, die Hündin, ein. Würde sie noch leben, hätte sie ihn gehört und gebellt, doch bis auf das leise Plappern des Flusses war alles still.
    Er zwang sich weiterzugehen. Er entdeckte einen kleinen Kreis aus geschwärzten Steinen, eine alte Feuerstelle. Er sah, dass der Fluss bis fast an das Zelt gestiegen und dann wieder gesunken war und eine ebene, schlammige Fläche hinterlassen hatte, auf der keine menschlichen Fußspuren zu sehen waren, nur kleine pfeilförmige Eindrücke von Vogelkrallen.
    Joseph nahm das Schaffell von den Schultern und legte auch seinen Stock auf die Erde. Er hielt die Nase in die Luft und schnüffelte, ob er den süßen Gestank des Todes roch, aber da war nichts.
    Endlich wagte er, sich dem Zelt zu nähern. Er versetzte ihm einen Tritt, und es kippte zur Seite, ein Seil spannte sich. Er zog die Zeltbahn weg und sah eine gewissenhaft geordnete Ansammlung ihm vertrauter Dinge. In der Mitte lag die rote Decke, einmal zusammengefaltet, auf der Bastmatte, die sauber und trocken aussah. Obendrauf war die kleine Pistole platziert, die er Harriet in D’Erlangers Hotel gegeben hatte. Daneben sah er Harriets Rucksack und die lange Schnur, mit der sie Lady manchmal an einen Pfosten oder Baum gebunden hatte. Auch einenschlecht gewordenen Schinken in einem Musselinbeutel gab es, über den eine Fliege kroch, und ein hübsches Sortiment trockener Lebensmittel in kleinen, ausgefransten Säckchen.
    Joseph ging in die Hocke und berührte die Decke. Dass Harriet hier ganz allein und so adrett in säuberlicher Ordnung gelebt hatte, ging ihm zwar einigermaßen ans Herz, aber sein Verstand blieb rastlos. Joseph konnte sich nicht auf Harriet konzentrieren, sondern dachte die ganze Zeit an das Gold, das hier irgendwo sein musste. Und nur darum ging es.
    Er durchwühlte ihre wenigen Sachen. Sie war tot, sagte er

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