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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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draußen. So weit, dass es einem den Atem verschlägt. Aber was uns hier beschäftigt, ist so überschaubar: die Gesundheit der Schafe, ein trockener Kastanientransport, Feuerholz, das keine Funken sprüht, ein Dienstmädchen, das einen Kartoffelbrei ohne Klumpen zubereiten kann …«
    »Ach«, sagte Harriet, »aber wenn ich an meinem Bach stehe und zu den Bergen hinaufblicke …«
    »Richtig«, sagte Dorothy, »sie sind großartig. Die Natur hier ist großartig. Allzu großartig. Jeder, der in Neuseeland überleben will, muss sich hier wieder etwas aufbauen, wenn auch nicht unbedingt die Vergangenheit, so doch etwas, das daran erinnert, etwas Vertrautes.«
    Harriet sah, wie der Ast vom Apfelbaum, den sie seit einer Weile beobachtete, auseinanderbarst und eine hohe Flamme daraus hervorschoss, die ihn nun aufzehrte. Sie sagte: »Unser Lehmhaus ähnelt in nichts irgendeinem Haus, das ich je bewohnt habe.«
    »Noch nicht«, sagte Dorothy. »Aber wenn Ihre Farm erst einmal floriert, wird Ihr Ehemann ein größeres Haus bauen, eineswie dies hier, und Sie werden dort Tee servieren, Tee aus China, und der Rest der Welt wird komplett aus Ihrem Kopf verschwunden sein.«
    »Mag sein«, sagte Harriet, »aber ich hoffe eigentlich, dass wir immer im Lehmhaus bleiben können, immer den Bach hören, immer nachts hinausgehen und die Sterne sehen …«
    »Nein«, sagte Dorothy. »Glauben Sie mir. Wir sind nicht stark genug für Flüsse und Sterne. Wir denken ja, wir kämen an erster Stelle, aber das stimmt nicht.«
    »Wie meinen Sie das, Mrs Orchard?«, fragte Harriet.
    »Ich finde, Sie können mich ruhig Dorothy nennen, und ich werde Sie Harriet nennen, wenn ich darf. Wie ich das meine? Ich meine, dass wir uns in einer großen Welt zwangsläufig immer eine kleine einrichten. Denn eine kleine Welt ist alles, worauf wir uns verstehen.«
    Harriet schwieg. Hier in diesem Zimmer war tatsächlich ein behagliches kleines Stück England wiedererstanden. Es war hübsch und einladend, und draußen rauschten englische Bäume leise in der Dunkelheit.
    »Aber«, sagte sie, »wir haben es auch noch nicht gewagt.«
    »Nun ist es an mir, zu fragen, was Sie damit meinen.«
    »Das weiß ich selbst nicht genau. Aber wenn ich ganz allein in meinem Gemüsegarten arbeite und zu den Bergen hinaufschaue, dann möchte ich gern da hin.«
    Dorothy Orchard fuhr sich mit der Hand durch ihr kurz geschnittenes Haar. Sie betrachtete Harriet, sah ihre beschmutzten Röcke und ihre schmalen Füße in den braunen Stiefeln und versuchte ihr Alter zu erraten. »Die Berge, wie Sie sie nennen, hier sagen wir Südalpen dazu, sind einfach furchterregend. Manche sprechen auch von der ›Treppe zur Hölle‹. Wenn Sie nicht wollen, dass Ihre Kinder die Mutter verlieren, dann meiden Sie die Alpen.«
    »Ich habe keine Kinder«, sagte Harriet.
    »Oh.«
    Erschrocken schwieg Dorothy ein oder zwei Sekunden und fuhr dann hastig fort: »Aber Sie haben einen Mann, und Sie möchten doch nicht, dass er alleine bleibt.«
    »Nein«, erwiderte Harriet. Doch im selben Moment wurde ihr bewusst, dass es da etwas in Joseph gab, das er sogar in ihrem gemeinsamen Bett entschieden für sich behielt. Es war nichts, worüber sie jemals gesprochen hätten, aber trotzdem existierte es.
    Dorothy erhob sich. »Es ist schon spät«, sagte sie, »und wir sollten zu Bett gehen, aber ich habe Toby versprochen, Ihnen Mollie zu zeigen, die im Augenblick die Trockenkammer bewohnt.«
    Die beiden Frauen stiegen langsam die Treppe im Orchard-Haus hinauf, Dorothy mit brennender Kerze in einem silbernen Kerzenhalter voraus. Schon auf dem Treppenabsatz konnten sie Toby schnarchen hören.
    Dorothy öffnete eine schmale Tür, aus der Harriet ein warmer, scharfer Geruch entgegenschlug. »Toby ist sehr stolz auf die Trockenkammer«, flüsterte Dorothy. »Vom Herd steigt die Hitze hoch und erwärmt die Steine, deshalb trocknen wir hier unsere Kleidung und lüften die Bettwäsche, und wenn ich jetzt mit der Kerze etwas tiefer leuchte, können Sie Mollie sehen.«
    Harriet erkannte zwei gelbe Augen, die sie über den Rand eines Binsenkorbs hinweg anstarrten.
    »Mollie, der Collie«, sagte Dorothy. »Edwin hat sie so genannt, und natürlich fand Toby das sehr lustig. Edwin musste für ihn immer ›Mollie-der-Collie darf nicht zu dollie verwöhnt werden!‹ aufsagen. Aber sehen Sie nur, neben Mollie. Zwei Welpen. Vor acht Tagen geboren, weswegen wir Mollie hierlassen, solange sie die beiden säugt.«
    Harriet kniete nieder

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