Die Farbe der Träume
und streckte der Hündin vorsichtig die Hand hin. Die Welpen drängten sich an den Korbrand.
»Brave Mädchen«, sagte Dorothy. »Brave Mädchen.« Und zu Harriet meinte sie: »Mollie ist der klügste Hund, den wir jemalshatten. Kennt jeden Zentimeter der Farm. Weiß, welche Schafe Streuner und welche Bummelliesen sind. Toby wird einen der Welpen behalten – Edwin hat ihn Baby getauft – und abrichten. Mehr als zwei Hunde haben wir nie. Wir werden für den anderen eine Bleibe finden müssen.«
Die Hunde strömten eine scharfe Wärme aus, und Harriet streichelte sie sanft. Wehmütig dachte sie an den alten Wolfshund ihres Vaters, ein altersschwaches graues Geschöpf, das nicht gern lief oder rannte, sondern am liebsten den ganzen Tag auf den in schweren, blank geputzten Schuhen steckenden Füßen seines Herrn lag. Dabei hatte er ein Auge geschlossen und betrachtete mit dem anderen sein Spiegelbild im Kamingitter. Ohne zu überlegen, sagte sie: »Darf ich Joseph fragen, ob wir den anderen Welpen kaufen können?«
Toby Orchard hörte plötzlich auf zu schnarchen, und Harriet fürchtete schon, dass er jeden Augenblick auftauchen könnte – um ihre Bitte abzulehnen, denn bestimmt würde er nicht wollen, dass sein Hund an einem so ärmlichen Ort wie ihrer Farm lebte, einem Ort, wo Tiere starben, weil den Menschen die Landschaft nicht vertraut war und sie den Himmel nicht zu lesen verstanden. Doch dann setzte das Schnarchen etwas ruhiger von neuem ein, und Dorothy sagte nur: »Ja, fragen Sie auf jeden Fall, und ich werde Toby fragen. Aber Collies müssen unbedingt arbeiten. Wenn sie nichts zu tun haben, sind sie nicht glücklich.«
»Wir werden Arbeit für ihn haben«, sagte Harriet. »Und ich glaube auch, manches würde besser, wenn wir einen Hund hätten.«
Die Frauen sagten einander gute Nacht, und Harriet ging zu ihrem Zimmer, einem Zimmer mit stabilen Wänden, einem soliden Holzbett und einem versilberten Spiegel.
Als sie die Tür öffnete, hörte sie Dorothy noch sagen: »Die Hunde bekommen ihre Namen alle von Edwin. Der, den Sie möchten, heißt Lady.«
III
Harriet schlief sehr lange.
Als sie erwachte, schien die Sonne in ihr Fenster, und im Haus war alles still. Sie blieb ruhig liegen und betrachtete das Zimmer, dessen cremefarben gestrichene Wände mit verblichenen Sticktüchern geschmückt waren:
Mary Jane Orchard; von ihr selbst verfertigt; im Alter von sechs Jahren.
Augusta Eliza Orchard; 1811. Nutzet die Zeit.
Ihr Körper schmerzte. Sie wusste, sie sollte zum Lehmhaus zurückkehren, zusammen mit der Milch und Toby Orchards Empfehlungen für den Bau von Ställen, doch bei dem Gedanken an die Rückkehr – an die vielen, mühseligen Kilometer durch die Steppe mit dem Eselkarren und an die gefährliche Überquerung des Ashley – packte sie plötzlich Verzweiflung.
Innerlich bebend, goss Harriet kaltes Wasser in eine Schüssel, wusch sich und zog ihr beschmutztes Kleid wieder an. Während sie die Stiefel zuband, wurde ihr mit Schrecken klar, dass ihre Verzweiflung nichts mit der Reise und nichts mit der Fahrt über den Fluss zu tun hatte, sondern nur mit der Rückkehr zu Joseph. Und dann verhedderten sich ihre Finger in den schmutzigen Schuhbändern, und sie hielt inne.
Zum ersten Mal wagte sie zu denken, dass Joseph Blackstone ein selbstsüchtiger Mann war. Sie sah jetzt, wie er sich in der Welt bewegte, wie er, ohne jedes Gefühl dafür, was eine andere Person wollte, entschied, wer wann wohin zu gehen hatte. Sie sah, dass er sich weigerte, zu teilen, sogar mit ihr; dass er vor dem Thema Kinder zurückschreckte, als könne er nicht ertragen, für irgendetwas verantwortlich zu sein außer für seine eigenen Sehnsüchte. Aber was waren seine wirklichen Sehnsüchte? Wieso bedeckte er ihr Gesicht, wenn er mit ihr schlief? Anfangshatte Harriet gedacht, dass seine Leidenschaft ihm vielleicht peinlich war, dass er in diesen Momenten nicht von ihr gesehen werden wollte. Aber jetzt fragte sie sich, ob er vielleicht sie nicht wollte; ob er sogar bei ihr im Bett eigentlich ganz woanders war, an einem Ort, wo er allein mit seinen heimlichen Sehnsüchten sein konnte; und dass es ihm vielleicht völlig gleichgültig war, wenn sie hoffnungslos verlassen zurückblieb.
Harriet machte sich wieder an das Zubinden ihrer Stiefel. Sie sah, dass ihre Hände zitterten. Was würde mit ihr geschehen, wenn sie Joseph Blackstone nicht lieben konnte? Wozu dann all ihre mühselige gemeinsame Arbeit? Anfangs hatte sie sich
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