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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Weile sagte Joseph gar nichts. Dann murmelte er, schon halb im Schlaf: »Du reist aber die lange Strecke nicht allein.«
    »Doch, mein Lieber«, erwiderte Harriet, noch hellwach. »Der Esel und ich, wir werden eine gemächliche Gangart anschlagen. Ich nehme den Wagen, dann kann ich auf dem Rückweg Milch mitbringen. Wir werden einen Tag und eine Nacht bleiben, vielleicht auch etwas länger. Ich möchte mir anschauen, wie die Orchards das Ufer ihres Teichs bepflanzt haben.«
    Sie fuhr fast schnurgerade nach Süden. Am Ashley-Fluss angekommen, machte sie Halt und betrachtete das rasch dahineilende jadegrüne Wasser. Ein Floß aus Kanuka-Baumstämmen, das mit Seilen und Flaschenzügen betrieben wurde, brachte Fahrzeuge und Passagiere über den Fluss, und dieses Vehikel wartete jetzt dort, unter der Aufsicht eines Fährmanns, der unablässig Tabak kaute und ins Wasser spuckte.
    Der Fährmann sah, wie Harriet zögerte. »Bringen Sie ihn rauf, Miss! Bringen Sie ihn rauf!«, schrie er. Also versuchte Harriet, den ängstlichen Esel ans Ufer zu führen, wo das Floß an seiner Vertäuung scheuerte. Aber der Esel wollte nicht auf das Floß. Er versuchte, sich zwischen den Wagendeichseln aufzubäumen. Er iahte zum Himmel.
    »Tun Sie ihm was über den Kopf!«, brüllte der Fährmann. Also zog Harriet ihren Mantel aus, band ihn dem Tier vor die Augen und dachte, dass der Esel nun weiterlaufen würde. Aber auch wenn er jetzt blind war, spürte er doch die Kälte vom Fluss und das Schaukeln des Floßes, und der Wagen schwankte und kippte fast um, und der Fährmann fluchte, und eine der beiden Deichseln knallte gegen Harriets Ellbogen.
    Harriet unterdrückte einen Schmerzensschrei, schwenkte den Esel herum und führte ihn im Halbkreis ans trockene Ufer zurück, während sie seinen Nacken unter dem Mantel streichelte und ihm besänftigende Worte zuflüsterte. Er begann zu husten, und sie spürte, wie er zitterte, und etwas von seiner Angst übertrug sich auf sie, und ihr wurde kalt. Aber sie musste ihn wieder zum Fluss schaffen, und dieses Mal sprang der Fährmann vom Floß und half ihr, das Tier hinaufzuziehen, wobei er dessen Kopf hinunterdrückte, damit es sich nicht aufbäumte, und gleichzeitig den Wagen im Gleichgewicht zu halten versuchte.
    Und so stand der Esel endlich sicher auf der Fähre, und Harriet hielt sich an seinem Hals fest, während der Fährmann, ununterbrochen mit mahlendem Kiefer kauend, an den Flaschenzügen zog und das Floß ins wogende Wasser hinaustrieb.
    Harriet sah, wie langbeinige Vögel am anderen Ufer landeten und die herangleitende Erscheinung neugierig anstarren. Und sie dachte, wenn sie nun kenterten und alle ertränken, dann wüsste niemand von dem Unglück außer den Vögeln, deren Namen sie nicht einmal kannte. Da sprach sie ein Gebet und sagte, sie wolle hier nicht sterben, denn sie wisse, dass ihr zukünftiges Leben noch Wunder bereithielt, und sie wolle bitte am Leben bleiben, um diese zu erleben.
    Der Fährmann fluchte erneut, als das Seil sich beim Anlegen straffte und er mit seinen schwieligen Händen mit aller Kraft ziehen musste. Harriet sah, dass das Wasser flacher wurde, und hob den Kopf, als die Vögel schwerfällig wegflatterten.
    Das Floß stieß ans Ufer. Es wurde vertäut, und Harriet brachte den Esel dazu, den Kiesstrand zu betreten. Sie nahm ihmden Mantel vom Kopf und hüllte sich selbst fest darin ein. Sie hielt eine kurze Rast und aß etwas von dem Trockenobst, ihrem einzigen Reiseproviant, und ließ den Esel zwischen ein paar zerzausten Büscheln grasen. Sie wartete, bis ihr Herz sich wieder beruhigt hatte, und zog weiter.
    Sie erreichte das Orchard-Haus bei Einbruch der Dunkelheit. Der achtjährige Edwin, der sich sein eigenes Haus in einem Titoki-Baum gebaut hatte, war der Erste, der sie erblickte, diese Fremde in einem Karren, den ein Esel zog, der vor lauter Erschöpfung den Kopf hängen ließ, und er kletterte vom Baum, rannte ihr entgegen und führte sie ins Haus.
    »Mama«, rief er, als er mit ihr das Wohnzimmer betrat, wo Dorothy gerade ihr Haushaltsbuch führte, »das ist Mrs Blackstone, und ihre Hände sind ganz kalt.«
    Harriet versuchte, die braunen Haarsträhnen, die sich aus ihrem adretten Knoten gelöst hatten, wieder zurückzustecken. Dorothy hob den Kopf und sagte: »Ach. Oh ja, lange Haare sind in diesem Land wirklich lästig! Ich kann Ihnen nur raten, schneiden Sie sie ab. Ich hatte mir beim Reiten den Arm gebrochen und konnte mich nicht mehr frisieren, und da

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