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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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damit getröstet, dass ihre Liebe sich hier in Neuseeland auf jene sanfte Art einstellen würde, mit der die Jahreszeiten wechselten, dass sie sich nicht darum bemühen müsse; irgendwann würde sie so einfach wie Atmen sein. Aber jetzt erkannte sie, dass die Liebe nicht einfach war, dass sie nicht von allein gedieh, wie sie erwartet hatte.
    Ein Klopfen an der Tür riss sie für einen Moment aus ihrer quälenden Grübelei. Sie richtete sich auf. Sie hatte keine Schritte im Flur gehört, aber es war Janet, einen Krug mit heißem Wasser in der Hand.
    »Für Ihre morgendliche Absolution, gnädige Frau«, sagte sie wunderlicherweise.
    Harriet dankte ihr, und sie ging wieder. Jane oder Janet? Jane war ihr richtiger Name, Janet der Name, auf den das Mädchen hier zu hören hatte. Doch wie wichtig war ein Name? Harriet Salt. Harriet Blackstone. Was würde aus ihr werden, nun, da ihr Name sich unwiderruflich geändert hatte?
    Harriet starrte stumpf auf das heiße Wasser. Langsam zog sie ihr Mieder wieder aus und wusch sich ein zweites Mal.
    Dorothy bewirtete sie mit Kaffee, Brot und Honig und erklärte, sie könne das Orchard-Haus nicht heute schon verlassen, da »Ihr armer Esel auf einem Bett aus Stroh liegt und sich weigertaufzustehen. Wenn Sie trotzdem schon nach Hause wollen, werden Sie bestimmt mitsamt Esel in den Strudeln des Ashley untergehen.«
    Edwin führte Harriet in den Stall. Er setzte sich zum Esel, gab ihm Zucker und wusch ihm Augen und Gesicht mit einem Lappen.
    »Wie funktioniert eine Windmühle?«, fragte Edwin.
    Eine Windmühle. Harriet lehnte an der offenen Stalltür. Sie dachte: Das Leben hat sich gewendet und mich hierher gebracht. Ich könnte Edwins Gouvernante werden und müsste nie mehr zu Joseph und Lilian zurückkehren.
    Zu Edwin sagte sie: »Eine Windmühle wird auf einem festen Fundament errichtet und kann sich drehen, und zwar so, dass die Flügel sich immer in den Wind stellen. Die Flügel drehen sich, und mit ihnen dreht sich ein Sperrrad.«
    »Aber wo ist der Mühlstein?«
    Harriet flocht ihre Finger ineinander, um ihm das Ineinandergreifen der Räder zu demonstrieren: Das eine dreht sich im Uhrzeigersinn von rechts nach links und das andere wie ein Kreisel auf einer vertikalen Achse. »Hier ist der Mühlstein«, sagte sie und zeigte auf eine Stelle direkt unter ihrem Ellbogen, und Edwin nickte. Er freute sich über die Erklärung und darüber, dass er sie verstanden hatte. Er presste seine Handflächen aneinander und mahlte imaginäres Korn. »In vier Jahren komme ich nach Christchurch in die Schule«, sagte er. »Papa meint, bis dahin muss ich wissen, wie die Dinge zu dem wurden, was sie sind.«
    »Aber vielleicht kann man gar nicht wissen, wie alles zu dem geworden ist, was es ist.«
    »Wieso?«
    »Weil man, wenn man ein Ding verstehen will, sein Prinzip und seine Herkunft kennen muss, und manchmal bleiben die uns verborgen.«
    »Warum bleiben die uns verborgen?«
    »Entweder, weil sie zu weit weg sind, so wie die Sterne, oder, weil unser Verstand sie sich nicht vorstellen kann.«
    »Ich kann mir alles vorstellen«, sagte Edwin. »Ich weiß auch Maori-Sachen, die Mama und Papa nicht wissen.«
    »Maori-Sachen?«
    »Ja. Wissen Sie, was das Wort maori bedeutet?«
    »Einheimisch?«
    »Nein. Es bedeutet normal . Die Maori waren vor uns in Neuseeland. Sie nennen es Aotearoa. Als wir hierherkamen, fanden sie, dass wir komisch aussehen. Sie fanden sich normal, und uns fanden sie seltsam.«
    Harriet nickte. »Woher weißt du das, Edwin?«
    »Das hat Pare mir erzählt.«
    »Pare?«
    »Mein Kindermädchen, als ich ein Baby war und der Wind meine Wiege weggeblasen hat.«
    »Deine Mutter hat mir erzählt, dass sie fortgeschickt wurde …«
    »Ja, sie wurde fortgeschickt. Aber manchmal kommt sie wieder. Sie versteckt sich im Toi-Toi-Gras, und ich rede mit ihr. Sie kann das Gras weich machen, indem sie es flicht, und dann setzen wir uns darauf.«
    »Wissen deine Mama und dein Papa, dass du mit Pare sprichst?«
    »Nein«, sagte Edwin. »Und Sie dürfen es ihnen auch nicht erzählen. Sonst schicken sie Pare wieder weg.«
    Weil es, nach dem grässlichen Schnee und dem Nebel, ein schöner Tag war und weil der Esel den Kopf noch nicht heben mochte, verkündete Dorothy, heute werde gepicknickt. Edwin, Harriet und sie würden zu einer hübschen Stelle auf dem Farmgelände reiten, zum sogenannten Pukeko-Bach, der nach den Purpurhühnern, die dort nisteten, so hieß. Sie werde einen Korb mit Mittagessen packen

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