Die Farbe der Träume
und auch Bier für Toby mitnehmen, derdort zu ihnen stoßen werde. Am Pukeko-Bach gebe es eine Schäferhütte, und da würden sie dann ein Feuer machen. Toby werde vielleicht ein paar Hühner schießen, und Edwin könnte versuchen, im seichten grünlichen Wasser gründelnde Fische zu fangen.
Und so zogen sie los. Der Himmel war weit, und die Pferde galoppierten ausgelassen über die Steppe, preschten um die Kleefelder, jagten zwischen den Schafen hindurch, die blökend in alle Richtungen auseinanderstoben. Harriets Haar, das sie zum Knoten geschlungen hatte, löste sich auf, und die Strähnen schlugen ihr gegen die Wangen und wickelten sich um ihren Hals.
Noch nie zuvor war sie so schnell geritten. Rund um sie her erstreckte sich endlos das Land. Sanft streiften die Schatten weißer Wolken die Täler und segelten davon. Dorothys kastanienbraune Stute und Edwins graues Pony rasten immer schneller durch den hellen Tag, und Harriet blieb immer weiter zurück. Irgendwann konnte sie das Getrappel ihrer Hufe nicht mehr hören, die Gestalten wurden kleiner und kleiner, winzige schimmernde Tupfer in der hellbraunen Farbpalette der Hügel.
Und je weiter sie sich von ihr entfernten, desto beschwingter wurde Harriet. Allein zu sein, allein auf einem starken Pferd in dieser herrlichen Weite! Allein, allein, allein, ohne dass jemand lenkte oder führte. Allein in einer hügeligen Wüste zwischen Bergen und Meer …
Sie zog an den Zügeln, das Pferd fiel in einen leichten Galopp und dann in einen Trott. Schließlich brachte sie das Tier zum Stehen, es schnaubte und nieste und schüttelte die Mähne im Wind. Harriet lief der Schweiß in die Augen. Ihr Herz klopfte in einem Rhythmus, den sie gar nicht an sich kannte. Sie wischte sich die Augen mit ihrem Ärmel, klopfte dem Pferd auf den Nacken, hörte ihren Atem in der Lunge rasseln.
Sie stieg nicht ab, sondern blieb im Sattel sitzen und ließ denBlick am Horizont entlangschweifen, und da war nichts und niemand, es gab nur ihr Pferd und sie selbst und ihren gemeinsamen Schatten und die Schatten der Wolken. Über ihr kreiste ein Vogel vor dem kalten Blau des Himmels. Für Harriet war er der majestätische Zeuge eines unverhofften Glücks, und sie wusste, dass sie sich irgendwann daran erinnern würde.
Sie wusste auch, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Dorothy und Edwin umkehrten, in Sorge, sie könne gestürzt sein. Aus Anstand und Höflichkeit sollte sie die Zügel nehmen und das Pferd antreiben. Aber sie hatte keine Lust, sich zu bewegen, keine Lust, sich am Angeln und am Picknick zu beteiligen. Sie wollte einfach bleiben, wo sie war. Auf die Dämmerung warten und dann die Dunkelheit. Sie wollte allein durch die Stunden der Nacht reiten, begleitet nur von den stummen Sternen.
D IE T EEDOSE AUS C HINA
I
Harriet war fort, und Joseph lief am Bach entlang bis zu der Stelle, wo das Lehmhaus eigentlich hätte stehen sollen – der Stelle, wo er es jetzt im Geiste erneut aufbaute.
Hier gab es keine Bäume, kein Buschland, keine Farne, überhaupt keine Besonderheiten, nur eine Hochebene aus Tussockgras und Steinen. Aber diese Hochebene lag im Schutz eines Gebirgsausläufers im Süden. Wer hierherkam, spürte sofort, wie die Luft weicher wurde. Das schreckliche Seufzen und Brausen des Winds hörte mit einem Mal auf. Die Männer, für die Joseph ein Kakadu war, hatten Recht; genau hier würde das Haus irgendwann stehen müssen.
Joseph schritt das Gelände ab, maß die Entfernung zum Wasser, versuchte, mit bloßen Händen einen grauen Felsblock aus der Erde zu rütteln. Falls zu Beginn des Sommers noch Geld zum Kauf von Holz übrig sein sollte, würde er mit dem Grundstock des neuen Gebäudes beginnen, beschloss er. Es würde Jahre dauern, da er allein vor dieser Aufgabe stünde – gekaufte Arbeit konnte er sich nicht mehr leisten. Aber er hätte immerhin einen ersten Schritt getan, hätte immerhin seinen Fehler eingestanden. In diesem Neuanfang, diesem zweiten Haus, läge seine Hoffnung für die Zukunft. Das ganze Leben, dachte er, während er an dem Felsblock zerrte, ist doch eine einzige Flucht von einem Fehler zum nächsten.
Joseph setzte sich auf die harte Erde und wanderte mit den Augen bachaufwärts bis zu der Stelle, wo das Lehmhaus stand. In der ersten Euphorie des Bauens hatte er sich viele schöne Namen für das Haus ausgedacht: Hoffnungs-Farm, Farm der weißen Wolke, Neues Paradies, es dann aber doch mit keinem dieser Namen belasten wollen. Es war einfach
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