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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Lauf kam, um sich und seine Familie durchzubringen.
    Und als er jetzt den Ruf der Enten vernahm, merkte er, wie er in Gedanken zu jenem Herbstmorgen in Norfolk zurückwanderte, an dem er mit seiner Flinte Stockenten und Pfeifenten aufgelauert hatte, während der Dunst über dem Fluss sich langsam lichtete. Er musste wieder daran denken, wie er an seiner Patronentasche nestelte, die Kälte und seine eigene Einsamkeit spürte und dann Rebecca, eingehüllt in ihren braunen Mantel, im Nebel auftauchen sah, das ovale Gesicht ganz bleich im malvenfarbenen Licht der Morgendämmerung.
    Sie rief: »Hab dir Pfannkuchen und Tee mitgebracht, Joseph Blackstone. Bin meiner Mama entwischt.« Und sie stellte sich mit ihrem Proviantkörbchen neben ihn, und seine Hand am Flintenlauf begann zu zittern. Er wollte sich abwenden, aber sie berührte seinen Arm, und er drehte den Kopf und sah ihr Lachen, ihren feuchten, geöffneten Mund und ihre bezaubernd schiefen Zähne – eine einzige spöttische Provokation …
    Die Bergenten stürzten sich in den strudelnden Bach, tauchten unter und waren verschwunden. Joseph rieb sich die Augen. Auf dem Wasser lag ein Glanz, aber dahinter, hinter diesem Glanz, war noch etwas, ein helles Flimmern im grauen Schlamm, dort wo die Enten gestanden hatten. Das Bild von Rebecca verblasste allmählich und versank endlich in der Dunkelheit, wo Joseph es hinwünschte, und er konnte sich auf dieses Flimmern konzentrieren. Für einige Minuten verschwand die Sonne hinter einer Wolke, und jetzt, im Schatten, war nichtsmehr zu sehen, nur der mit Kies vermengte Schlamm und das Fischgrätenmuster, das die Entenfüße hinterlassen hatten. Aber Joseph wusste, dass er etwas gesehen hatte. Er blieb regungslos stehen und wartete, dass die Sonne wieder hervorkam. Sie kehrte zurück, spiegelte sich im Wasser und blendete ihn. Er musste kurz die Augen schließen, und als er sie wieder öffnete, hatte er die genaue Stelle verloren, wo ihm der farbige Schimmer erschienen war. Dann sah er sie plötzlich von Neuem, die winzige Stelle mit glänzendem, gelbem Staub.
    Joseph zog seine schweren Stiefel und die wollenen Socken aus und watete durch das eisige Wasser. Fast hätte die starke Strömung ihn umgerissen, er musste sich bücken und an den Steinen festhalten und wie ein vierbeiniges Tier zum schlammigen anderen Ufer kriechen. Er war froh, dass er alleine war, fand es sogar regelrecht aufregend, hier mit seiner Entdeckung allein zu sein. Und als er drüben war, sank er auf die Knie, ohne sich darum zu kümmern, wie dreckig seine Hose wurde. Mit zitternden Händen schöpfte er eine kleine Menge grauen, mit Gold bestäubten Schlamm.
    Den ganzen Tag lang kämmte er Erde und Steine durch. Er dachte nicht eine Minute an Harriet, die unterwegs zur Orchard-Farm war, und auch nicht an Lilian, die in ihrem Zimmer schlief, ohne etwas von der Sonne und dem blauen Himmel mitzubekommen. Zwischendurch besorgte er sich im Lehmhaus eine flache Kasserolle, die fast die Form einer Goldwaschpfanne hatte. Mit dieser Pfanne und einem Blechkrug ging er dann zurück zum Bach. Er schöpfte Schlamm in die Pfanne, goss mit dem Krug Wasser aus dem Bach darüber, wusch den Schlamm so lange, bis die feinen Sand- und Lehmpartikel ausgespült waren und die schwereren Goldkörner übrig blieben. Auf diese Weise, so hoffte er, würde nichts seinem Auge entgehen. Auf der trockenen Erde unter einem Busch breitete er sein Taschentuch aus, und gegen Mittag lag darauf ein Häufchen heller Staub,ein Häufchen so groß wie der Daumennagel eines erwachsenen Mannes. Joseph beugte sich darüber, steckte einen Finger hinein und sah, dass die winzigen Partikel an seiner Haut kleben blieben. Zärtlich hielt er den Finger dicht vor sein Gesicht und streichelte das Gold mit den Augen. Er fühlte einen Schrei aus seinem Herzen aufsteigen.
    In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Klar war, dass er seine Entdeckung geheim halten musste. Irgendwann später würde er, falls hier am Bach tatsächlich ein großes Vermögen vergraben lag, darüber reden, die Entdeckung teilen, aber jetzt noch nicht. Vom Lehmhaus aus war der Bach, der sich durch die hügelige Steppe schlängelte, hier unten nicht zu sehen. Er würde also allein und unbeobachtet herkommen, wenn Harriert in ihrem Gemüsegarten arbeitete oder die Wäsche in ihrem Kupferkessel umrührte und wenn Lilian schlief oder ihr Porzellan klebte. Mit seinem provisorischen Werkzeug würde er geduldig jeden Zentimeter

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