Die Farbe der Träume
Schlamm durcharbeiten. Und wenn dann, gegen Sommer hin, der Pegel des Baches nach dem Frühlingshochwasser fiel, würde immer mehr vom schmalen Uferstreifen sichtbar werden, und er allein würde wissen, was dort womöglich auf ihn wartete.
Er hielt Verschwiegenheit hier für durchaus angemessen. Wenn er Harriet erzählte, dass es Gold im Bach gab, würde sie es (weil sie eine Frau war und Frauen gern anderen ihr Herz ausschütteten) vielleicht irgendwie den Orchards gegenüber erwähnen, und von der Orchard-Farm würde die Nachricht sich rasch verbreiten – Schäfer würden sie überallhin tragen, vielleicht würden sogar Maoris sie in ihrer Singsangsprache weiterflüstern –, und dann würde es, früher oder später, einen Goldrausch geben. Sie würden in Horden anrücken, die Männer, die in den »Fünfzigern« Gold in Australien und dann zu Anfang der neuen Dekade noch einmal Gold in Otago gefunden hatten und nur (wer weiß wo?) darauf warteten, dass irgendwo wieder etwas entdeckt würde. Sie kämen mit ihren Waschpfannen und Waschwiegen, ihren Waschrinnen und ihren Pickhämmern. Überall am Bachlauf würden ihre Baracken auftauchen, ihre Schnapsbuden, ihre Latrinen und ihr Dreck. Und das, was jetzt noch Josephs Land war, würde von der Canterbury-Provinzverwaltung annektiert, und die Schürfrechte würden zu Hunderten verkauft werden. Die Farm würde zerstört, das Gold ausgewaschen und abtransportiert werden, und er – der damit begonnen hatte, der als Erster die goldene Farbe im Schlamm, seinem Schlamm, seinem Bach, hatte glitzern sehen –, er würde gänzlich leer ausgehen.
Joseph faltete das Taschentuch zusammen, machte einen so festen Knoten, dass auch nicht ein Fitzelchen Goldstaub entwischen konnte, und steckte es in die Tasche seiner dreckigen Hose. Und erst jetzt bemerkte er, dass um ihn herum das Tageslicht schwächer geworden und die Winterdämmerung hereingebrochen war.
II
Am folgenden Tag kehrte Harriet zurück.
Diesmal war die Überfahrt über den Ashley weniger bedrohlich, der Esel ruhiger und gefügiger gewesen, fast als wüsste er, dass es nach Hause ging. Der Wagen war beladen mit Milch und Hammelfleich und einigen Gläsern Pfirsichmarmelade, die Dorothy Orchard selbst gekocht hatte. Die Reise hatte Harriet Auftrieb gegeben. Sie fühlte sich noch immer beschwingt von dem schnellen Ritt durch die endlos leere Landschaft, freute sich darauf, ihre langen Haare abzuschneiden, und war glücklich über die Zusage für das Hündchen Lady.
Die Sonne stand schon tief am Himmel, als sie zum Lehmhaus hinauffuhr. Sie stieg ab, hörte den Wind in den Buchen seufzen und merkte, wie ihre Beschwingtheit ziemlich rasch verflog. Sie hob die Milchkanne vom Wagen, spannte den Eselaus und führte ihn auf die Weide, wo er eine Weile graste und sich dann neben einem Zaunpfahl niederließ und die Augen schloss.
Im Haus herrschte Stille. Keine Lampe war angezündet. Die weißen Kattunwände wehten fast unmerklich, als Harriet die Haustür öffnete.
Sie machte sich nicht durch Rufen bemerkbar. Vermutlich schlief Lilian, und Joseph war mit dem Teich beschäftigt. Sie ging in die Küche, setzte die schwere Milchkanne ab und dachte bei sich, wenn ein Hund sie begrüßen würde, wäre das Heimkommen anders, nicht so düster.
Um sich aufzuheitern, zündete sie eine Lampe an, legte Kohlen im Herd nach und trank einen Becher von der kühlen, frischen Milch. Ihr Rücken schmerzte von der Reise, und während sie, auf dem Weg ins Schlafzimmer, ihren Mantel aufknöpfte, beschloss sie, sich für eine halbe Stunde hinzulegen.
Zu ihrer Überraschung lag Joseph im Kattunzimmer und schlief. Sein Körper war gänzlich unter dem Federbett verschwunden, nur der Kopf sah hervor. Mit seiner blassen Hand umklammerte er einen Zipfel vom Federbett.
Joseph war nicht aufgewacht, als sie das Zimmer mit der Lampe betrat. Fast wollte Harriet schon laut seinen Namen sagen, entschloss sich dann aber doch anders, blieb stumm stehen, wo sie war, starrte Joseph an und musste an den Augenblick im Orchard-Haus denken … an jenen Augenblick, als ihr beim Stiefelzubinden die Schnürsenkel aus den Händen geglitten waren …
Sie wusste nicht, wieso Joseph am Nachmittag im Bett lag. Sie dachte, eine liebende Ehefrau müsste doch besorgt sein, ihn wecken und fragen, ob er krank sei, ihm eilig Tee kochen, seine Hand küssen. Aber Harriet stand einfach nur regungslos da, die Lampe in der Hand. Sie spürte, dass sie in diesem Moment kein Mitleid
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