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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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solltest am Teich junge Weiden pflanzen, Joseph, als Schatten für das Haus«, sagte sie.
    Joseph reagierte nicht, und Lilian fuhr fort: »Außerdem glaube ich, eine Lorbeerhecke zwischen dem Westfenster vom Lehmhaus und Harriets Gemüsegarten wäre eine Wohltat fürs Auge. Meinst du nicht?«
    »Ja«, sagte er, »es wäre sicher ›eine Wohltat fürs Auge‹.«
    »Ich meine damit«, erläuterte Lilian, »dass es jetzt, wo der Frühling da ist, doch an der Zeit wäre, alles ein wenig hübscher zu machen.«
    Joseph sagte nichts mehr, murmelte nur etwas zum Esel, das ihn antreiben sollte. Er hätte gern zu Lilian gesagt: Der Tag wird kommen, an dem ich mich dem »Hübschen« widmen kann. Er hätte seiner Mutter gern erzählt, wenn der Fluss erst einmal das Gold herausgerückt hätte, das, wie er wusste, dort wartete, dann würde er weiter unten in der Ebene ein neues Haus bauen, und dieses Haus wäre aus Stein und Holz und Schiefer und hätte eine große, windgeschützte Veranda. Er hätte ihr schrecklich gern zugesichert, dass sie den Rest ihrer Tage nicht in einem Zimmer aus Kattunwänden verbringen musste, und er wollte schon sagen, sie solle ihm einfach vertrauen, es erwarte sie eine strahlende Zukunft. Aber er konnte all das nicht sagen, weil er selbst noch nicht ganz an die strahlende Zukunft glaubte. Denn Gold war tückisch; das begriff er allmählich. Es war doppelzüngig wie ein Mädchen. Es zeigte sich und lockte. In seinem ersten Glanz lag das Versprechen von mehr, sehr viel mehr, weshalb die Männer immer weitermachten und die Erde umschmeichelten. Die Suche brach ihnen den Rücken und das Herz, und sehr oft wurden sie mit nichts belohnt – oder mit fast nichts: mit gerade so viel, wie nötig war, um Hoffnung und Verlangen am Leben zu halten.
    »Buchsbaum«, sinnierte Lilian. »Wie hübsch würde doch eine niedrige Buchsbaumhecke neben der Tür aussehen, Joseph.«
    »Ja«, erwiderte Joseph und trieb den Esel zu einer schnelleren Gangart an, »ihr Duft würde dich an Parton erinnern.«
    Lilian hatte gehofft, in Christchurch bei Mrs Dinsdale wohnen zu können, doch zu ihrem Leidwesen hing an Mrs Dinsdales Fenster ein Schild: KEINE ZIMMER FREI HAUS VOLL.
    »Das kann nicht sein«, sagte Lilian und schnaufte verächtlich. »Damit will Lily nur die feinen Leute vom Gesindel trennen. Ich werde hineingehen, und sie wird mir mein altes Zimmer geben.«
    Lilian stieg mühsam vom Wagen hinunter und landete mit schmerzenden Füßen ungnädig auf dem Boden. Sie klingelte und wartete auf den Treppenstufen. Joseph war mit den Zügeln in der Hand sitzen geblieben, als wollte er gleich weiterfahren.
    Lilian hatte Lily Dinsdales Haus als einen Ort ersprießlicher Ruhe in Erinnerung, doch als sie jetzt auf der Straße stand, konnte sie aus einem der oberen Zimmer lärmendes Lachen – Männerlachen – hören, und die Treppe hatte ein Dreckmuster, das nur von schweren Stiefeln stammen konnte. Sie versuchte, durch die Spitzengardinen in eines der ebenerdigen Fenster zu spähen. Ihr blieb fast das Herz stehen bei dem entsetzlichen Gedanken, dass Lily Dinsdale vielleicht gar nicht mehr hier wohnte, womöglich sogar an irgendeiner aus Samoa oder den Fischi-Inseln eingeschleppten tropischen Krankheit gestorben war, die niemand zu heilen verstand. Das Leben kann so grausam sein,dachte sie. Da ist ein Mensch, mit dem man eigentlich gerechnet hat, und plötzlich gibt es ihn nicht mehr!
    Die Tür ging auf, und vor ihr stand ein junges Mädchen mit einer zerknitterten, fleckigen Schürze. »Keine Zimmer, Madam«, sagte sie und wollte die Tür schon wieder vor Lilians Nase schließen. Aber Lilian streckte die Hand aus und hielt sie einen Spalt weit offen.
    »Ich bin eine alte Freundin von Mrs Dinsdale«, sagte sie und versuchte, so groß und stattlich auszusehen, wie ihre schmerzenden Füße es zuließen. »Kannst du sie bitte holen?«
    Das Mädchen starrte Lilian frech von oben bis unten an. Das Männerlachen, das sie auf der Straße gehört hatte, polterte aus dem ersten Stock herunter, und Lilian flatterte angeekelt mit den Lidern. Dann hörte sie Mrs Dinsdale rufen: »Sag ihnen, wir sind voll, Hetty!«
    »Wir sind voll«, sagte das Mädchen und versuchte erneut, die Tür zu schließen, aber Lilian drängte sich an ihr vorbei in den Flur und rief laut: »Lily! Ich bin‘s, Lilian Blackstone!«
    Es folgte keine Reaktion, nur die Lachsalven oben schwollen noch mehr an. Es klingt wie Gewehrfeuer, dachte Lilian. Und dann trat Mrs Dinsdale

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