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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Harriets Hand, und sie wanderten langsam und leise zu der Toi-Toi-Wiese, während ihnen der schwarzweiße Welpe um die Füße sprang. Die Sonne schien immer noch, aber am nördlichen Himmel zog eine dunkle, graue Wolke auf.
    »Wenn wir gleich näher kommen«, erklärte Edwin wichtig, »dürfen Sie kein Geräusch mehr machen. Sie müssen aufpassen, dass Lady nicht jault und nicht bellt oder rumrennt. Und dann rufe ich: ›Bist du da, Pare?‹ Und dann warten wir einfach, ob eine Antwort kommt.«
    Er rief mehrere Male, und sie blieben stehen und warteten, während die große dunkle Wolke sich auf die Sonne zu bewegte.
    »Bist du da, Pare? Bist du da?«
    Doch es kam keine Antwort, nur der Wind bewegte das Gras. Harriet schaute Edwin an und sah, wie aufgeregt er war.
    »Manchmal merke ich was«, flüsterte er. »Ich merke manchmal schon, dass sie da ist, bevor sie antwortet, obwohl ich sie gar nicht sehen kann.«
    »Aber heute ist sie nicht da?«
    »Nein, ich glaube nicht. Aber wir können da hingehen, wo sie immer sitzt, und warten, ob sie vielleicht doch noch kommt.«
    Sie marschierten weiter. Das hohe, raue Gras kratzte an ihren Armen und piekste Lady in die neugierige Nase, worauf sie leise jaulte. Edwin lief etwas voraus, eine ganze Weile geradeaus, bog dann erst nach rechts und anschließend nach links, als folge er einem unsichtbaren Weg. Ein brauner Vogel flog auf und flatterte davon. Dann sah Harriet, wie Edwin stehen blieb – so reglos, dass er keinen Schatten zu werfen schien. Er nickte Harriet vorsichtig zu, und während sie sich noch leise näherte, hockte er sich hin und verschwand im Toi-Toi-Gras.
    Nun nahm Edwin die rauen, harten Halme, bog sie und legte sie sorgfältig ineinander (genau, wie Pare sie immer flocht) und schuf so einen weichen Platz, wo sie bequem sitzen konnten. Das Hündchen legte sich neben sie.
    Harriet schwieg und beobachtete Edwin, der immer noch aufmerksam horchte und um sich blickte, als wäre Pare doch irgendwo in der Nähe oder auf dem Weg zu ihm, als wartete sie,unsichtbar in ihrem gefiederten Umhang, nur darauf, dass er sie rief.
    Die Sonne verschwand, und plötzlich kam ihnen die Stelle, wo sie saßen, dunkel vor.
    Edwin sah Harriet an und sagte: »Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten?«
    Harriet wartete einen Augenblick, ehe sie erwiderte: »Du solltest mir nichts erzählen, was du nicht verraten darfst.«
    »Niemand hat es mir verboten«, sagte Edwin. »Mama und Papa wollen nur …«
    »Ist es eins von Pares Geheimnissen?«
    »Ja. Pare weiß Sachen, bevor die Pākehā-Menschen sie wissen, weil die Maoris auf die Erde hören, sie hören auch auf die Vögel und die Flüsse. Und in den Flüssen sind Maori-Geister, die Taniwha heißen und manchmal mit ihnen reden, und die Taniwha wissen alles in der Welt.«
    »Alles in der Welt?«
    »Ja. Und eine Sache, über die sie Bescheid wissen, ist der Greenstone.«
    »Greenstone?«
    »Sie dürfen es nicht Mama verraten, aber Pare hat mir erzählt, dass es Gold im Greenstone-Fluss gibt. Eigentlich ist es Maori-Gold, aber sie haben ihr Land an die Pākehā verkauft. Vor ganz langer Zeit.«
    »Und wessen Gold ist es jetzt?«
    »Pare sagt, viele tausend Männer werden kommen. Sie sagt, Gold macht, dass die Menschen Dinge tun, die sie sonst niemals tun würden. Sie sagt, die Menschen werden versuchen, die Berge zu überqueren.«
    In diesem Moment wurde aus der Dämmerung, die sich nach dem Verschwinden der Sonne über die Landschaft gesenkt hatte, schwarze Finsternis, und aus dem dunklen Himmel begann Hagel zu fallen. Edwin und Harriet verstummten, als die eisigen Körner auf ihre Köpfe prasselten und auch auf das flachgedrückte Gras um sie herum. Der kleine Hund stand auf, lief im Kreis und versuchte erst, die Hagelkörner abzuschütteln, und schnappte dann nach ihnen, als wären sie ein heller Bienenschwarm.
    Edwin streckte beide Arme aus, fing den Hagel in seinen hohlen Händen und zeigte Harriet die perfekt gerundeten weißen Kügelchen.
    »Ich finde Wetter schön«, sagte er. »Sie auch?«
    Harriet nickte und lächelte. Das Hündchen Lady sah erwartungsvoll von ihr zu Edwin, aber keiner der beiden rührte sich.

D IE K ONSERVIERUNG
I
    Im November fuhr Joseph, nachdem er auf seinen kleinen, krummen Feldern den Weizen ausgesät und die windschiefen Unterstände für die Tiere gebaut hatte, nach Christchurch, um eine neue Milchkuh zu kaufen. Er nahm Lilian mit in dem Eselgespann.
    Auf der Fahrt sprach Lilian über englische Bäume. »Du

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