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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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aus dem Salon, und die Frauen starrten einander an und schwiegen schockiert. Beiden war sichtlich bewusst, dass sich gerade irgendetwas Desaströses ereignete. Denn die Mrs Dinsdale, die da vor Lilian stand, war keineswegs mehr die »liebe Lily Dinsdale«, die sie bei ihrer ersten Ankunft in Christchurch so nett und herzlich aufgenommen hatte. Sie war ganz entschieden eine andere Lily Dinsdale, gar nicht mehr »lieb«, sondern eine Frau in einem tief ausgeschnittenen, engen, schwarzen Satinkleid, das viel von ihren weißen Brüsten sehen ließ. Und statt der gewohnten Spitzenhaube zierten kokette Schleifen ihr Haar, die ihr als seidiges Geschlängel bis fast auf die Schultern fielen.
    Es war dann aber Lily Dinsdale in all ihrem herausgeputzten Pomp, die sich noch vor Lilian von dem Schreck erholte. Lilianhingegen hatte das starke Gefühl, sie werde sich von dem, was sie da sah, wahrscheinlich nie mehr erholen, weshalb sie einfach nur mit offenem Mund dastand, während ihre ehemalige Freundin eine Entschuldigung versuchte.
    »Es ist das Fieber«, sagte Mrs Dinsdale. »Es tut mir leid, Mrs Blackstone. Dieses Fieber, diese Gier der Männer hat einfach alles verändert. Sie haben doch sicher gesehen, was auf der Straße zur Bucht von Lyttelton los ist …?«
    Lilian wollte ihr erklären, dass sie gar nichts gesehen habe, dass Joseph und sie direkt hierher gefahren seien, wo sie auf einen freundlichen Empfang gehofft hätten und hier die Nacht hätten verbringen wollen, aber sie sah sich nicht in der Lage, zu sprechen.
    In diesem Moment rief eine Männerstimme von oben herunter: »Lily, meine Süße! Wir sind durstig!«
    »Bier«, sagte Lily Dinsdale mit einem angedeuteten Lächeln. »Danach krakeelen sie alle. Ich habe ihnen erklärt, dass ich kein Wirtshaus bin. Ich habe sie auch gewarnt und gesagt, sie sollten sich lieber beizeiten an Mühsal und Entbehrung gewöhnen. Aber das kümmert sie nicht.«
    Mrs Dinsdale schien zu hoffen, dass Lilian jetzt etwas sagte, dass sie Lilys Situation in dieser Männerwelt begriff und sich auf ihre Seite schlug, ihr zumindest die Scham nahm. Aber Lilian Blackstone war unfähig, auch nur eine Silbe zu äußern; sie stand mit versteinertem Gesicht da, dachte an den Brief, den sie ihr beinahe geschickt hätte, und daran, dass das Haus von Lily Dinsdale bis zu diesem Tag eine wichtige Rolle bei dem Plan zu ihrer eigenen Rettung gespielt hatte. Doch es gab keine Rettung , das erkannte sie jetzt. Es gab nur dieses Haus voller grober Kerle und Lily in ihrem lächerlichen Aufzug und den Tupfern von – wie sagte man? – Rouge im Gesicht.
    Mrs Dinsdale unternahm noch einen letzten Versuch zur Besänftigung, obwohl sich nichts mehr besänftigen ließ. »Es tut mir sehr leid, falls Sie gehofft hatten …«, sagte sie, hielt inneund begann von Neuem. »Es tut mir wirklich leid, wenn Sie erwartet hatten … aber so ein Fieberrausch … nun … das verändert alles. Es krempelt uns alle völlig um.«
    Bei dem Wort »um« drehte Lilian sich ihrerseits abrupt und empört um und ging die wenigen Schritte zur Tür, wo Hetty noch immer in ihrer fleckigen Schürze stand. Lilian versetzte ihr einen gehässigen Stoß, so dass sie beinah umfiel, schritt aus dem Haus und ließ die Tür hinter sich zuknallen. Sie bestieg den Eselkarren mit einer Gewandtheit, die sich offenbar dem Schock und der Wut verdankte, und befahl Joseph davonzufahren.
    Joseph fand eine Teestube, band den Esel an einen Pfosten und bestellte seiner Mutter ein Rosinenbrötchen, das sie so lange unangerührt auf dem Teller stehen ließ, bis ein wenig Farbe in ihre Wangen zurückgekehrt war.
    »Iss das Brötchen«, sagte er freundlich.
    Lilian nahm einen winzigen Bissen, fand das Kauen aber schwierig. »Gold«, sagte sie, als sie das Wenige hinuntergeschluckt hatte. »Hat sie das mit dem Fieber gemeint? Einen Goldrausch?«
    Joseph sagte, ihm seien bei der Einfahrt in die Stadt Menschengruppen aufgefallen – ausschließlich Männer, und alle in Arbeitskleidung –, die in ziemlicher Erregung durch die Straßen gezogen seien. Er habe Schnapsbuden gesehen, die ganz neu waren. An einem Karren, der bis oben hin mit Segeltuch beladen gewesen sei, habe gestanden: Kaufen Sie sich Ihr eigenes Zelt. Beste Preise . Er verriet nicht, dass ihn der Anblick all dieser Dinge in große Panik versetzt hatte, weil er ahnte, was das bedeutete. Er verriet auch nicht, dass er sich bis zu diesem Tag als einziger Besitzer neuen Goldes in ganz Neuseeland gewähnt

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