Die Farbe der Träume
wären wir damit geboren. Habe ich nicht Recht, Doro?«
Dorothy, die Mollie unter dem Tisch gerade mit einem Stück Kaninchenfleisch fütterte, blickte hoch und lächelte Toby großmütig zu. »Ich denke, du hast Recht, Lieber«, sagte sie. »Gewisse ganz gewöhnliche Dinge können einem allerdings auch dann noch schwierig vorkommen, wenn es längst nicht mehr so sein sollte.«
»Die Fähigkeit eines Viehauktionators ist aber keine ›gewöhnliche‹«, sagte Toby und wandte sein großes Gesicht, das sich vom Rotwein allmählich rosa färbte, nicht mehr seiner Frau zu, sondern ausschließlich Lilian. »Meiner Meinung nach ist sie sogar ziemlich außergewöhnlich. Wie leben in einer sehr langsamen, schwerfälligen Welt, und immer, wenn mir etwas begegnet, das schnell und gewandt ist, neige ich zur Bewunderung.«
Das Wort Bewunderung schien eine erstaunliche Wirkung auf Lilian zu haben. Zwar war ihre Hand zu dem Dessertlöffel zurückgewandert, um ihn einen halben Zentimeter vom Untersetzer wegzurücken, doch dann suchte diese Hand die andere,und beide falteten sich wie zu einem kleinen impulsiven Gebet. »Ich glaube, Sie sind allzu generös, Mr Orchard«, sagte sie, »aber andererseits weiß ich, dass Roderick sich manchmal nicht richtig … geschätzt fühlte …«
»Das ist wirklich eine Schande. Früher haben die Engländer Fähigkeiten der verschiedensten Art zu achten gewusst, aber ich fürchte, heutzutage sind sie ganz dem entwürdigenden Geist des Geldes erlegen.«
»Ja, das hat Roderick leider auch festgestellt«, sagte Lilian mit einem angedeuteten Seufzer, und in dem Blick, mit dem sie Toby bedachte, erkannte Dorothy den Anflug einer sehr alten Koketterie, die Lilian wahrscheinlich für erloschen und tot gehalten hatte. Doch so tot, dass sie nicht hätte wiederbelebt werden können, war sie nicht.
»Möchte noch jemand vom Eintopf?«, fragte Dorothy. »Oder soll ich Janet bitten, das Dessert aufzutragen?«
Toby nickte und fuhr fort: »Mein früheres Leben spielte sich im Herzen der Welt des Geldes ab, Mrs Blackstone. Im Londoner Finanzzentrum. Und ich sage Ihnen, es verging kein Tag, an dem ich mich nicht nach einem anderen Leben gesehnt hätte. Und ich habe es gefunden. Morgen werde ich Ihnen die neugeborenen Lämmer auf der Weide zeigen, und vielleicht spüren Sie dann auch etwas von der Freude, die mich erfüllt …«
»Oh«, sagte Lilian. »Ganz bestimmt!«
Plötzlich reichte es Dorothy, wie Toby Mrs Blackstone umgarnte, und sie hoffte, den Bann zu brechen, indem sie laut nach Janet rief. Doch an diesem speziellen Abend ließ sich der Bann nicht brechen. Denn Lilian, die sich bei ihrer Ankunft brüskiert gefühlt hatte und vor lauter Unglück am liebsten gestorben wäre, spürte nun, wie ihr Herz vor Freude wild klopfte. Der gute Roderick war öffentlich und in allen Ehren rehabilitiert worden. Er war als »Wissenschaftler« bezeichnet worden, und Lilian Blackstone wusste sehr genau, welches Gewicht dieses Wort hatte, welch ungeheures Ansehen sich damit verband.
Herausfordernd reckte sie das Kinn und lächelte. Dann hob sie ihr Glas und nahm einen Schluck von dem köstlichen Wein, wobei sie darauf achtete, dass ihr kleiner Finger auch hübsch abstand, so wie früher bei ihrer Mutter, wenn sie Tee trank. Dass Toby Orchard, als er seine vernichtenden Bemerkungen über die Welt des Geldes machte, natürlich nichts von Rodericks verheerenden Schulden bei den Buchmachern wissen konnte, schien für Lilian in diesem höchst exquisiten Augenblick nicht die geringste Rolle zu spielen.
VI
Der nächste Tag begann so strahlend, dass Edwin Orchard, als er sich das Gesicht wusch, ein Gefühl von Sommer hatte. Er musste an Pare denken und an ihre goldbraune Haut. Vielleicht würde sie ja heute kommen und rufen: »Ich bin hier, E’win. Ich bin hier.«
Edwin beschloss, Harriet die Stelle im Toi-Toi-Gras zu zeigen, wo Pare immer wartete. Sie würden mit Lady losziehen, und er würde behaupten, dass er Harriet beibringen wolle, wie man Hunde zum Gehorsam erzieht. Seinen Eltern würde er erklären, dass niemand anders mit dürfe, weil Lady sonst vor lauter Verwirrung gar nicht mehr gehorchen würde.
Und vielleicht würde Pare dann Lady unter ihren Umhang nehmen und ihre Nase mit den kostbaren Kiwifedern streicheln und ihr Lachen lachen, das ebenso melodisch war wie ihr Weinen.
Edwin wartete, bis seine Eltern mit Mrs Blackstone aufgebrochen waren, um ihr die neugeborenen Lämmer zu zeigen. Dann nahm er
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