Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
Partikel fallen. Große Mengen Erde konnten mit Hilfe dieser Schleuse »gewaschen«werden, und das gefaltete Sackleinen tat seinen Dienst. Alles, was durchfiel, wurde in dem Tuch gesammelt, festgehalten in seinen Falten. Wenn in der gewaschenen Erde Gold war, dann würde es dort liegen.
    Joseph schaute sich die Otago-Waschrinne sehr lange an. Er hätte sie gern erworben und auf seinen Eselkarren geladen, sie unter den Säcken mit Vorräten versteckt, die er noch kaufen musste. Aber nun, da der Himmel immer heller wurde, begriff er auch, dass er diese viel zu auffällige Waschrinne da draußen an seinem Bach nicht würde verstecken können.

D IE L EINE
I
    Es war fast schon Nacht, als sie zum Lehmhaus zurückkehrten. Joseph hatte beinahe die ganze Strecke laufen müssen, den Esel am Zügel neben sich, während die am Karren angebundene neue Milchkuh langsamen Schritts hinterherschaukelte. Im Wagen schlief Lilian derweilen mit dem Kopf auf einem Sack Kaffeebohnen und merkte nicht, wie die Sonne unterging und der Weg in der zunehmenden Dunkelheit allmählich verschwand. Als sie bei der Farm ankamen, wachte sie auf und fragte: »Wie spät ist es, Roderick?«
    Es blies ein trockener Wind aus Südwest. Harriet hatte den ganzen Tag Laken und Tischtücher, Hemden, Unterhosen und Unterröcke gewaschen, weil sie alles draußen aufhängen wollte, ehe der Wind es sich anders überlegte. Ihre Hände waren aufgesprungen, und zwischen den Fingern bildete sich ein Ausschlag. Der einzige Teil der mühseligen Waschprozedur, der ihr immer wieder gefiel, war das Mangeln. Der Rest war die Hölle. Während sie die schmutzigen Sachen einseifte, sie klopfte und schlug, hatte sie sogar laut darüber gestaunt, wie viel im Leben doch Wiederholung war. In ihren langen Jahren als Gouvernante hätte sie beim Repetieren der immer gleichen historischen und mathematischen Fakten manchmal am liebsten geschrien.
    Als Joseph sich in der Nacht neben sie legte, griff sie nach seiner Hand.
    Er drehte den Kopf zu ihr, blickte sie an und sagte: »Du hättest dir das Haar nicht abschneiden sollen.«
    Harriet blieb ruhig liegen und erwiderte: »Ich habe es getan, um klar zu sehen, das ist alles. Und nun sehe ich, wieso du am Bach gräbst.«
    Sie spürte, wie sein erschöpfter Körper sich von oben bis unten verspannte, doch er schwieg, drehte nur den Kopf weg.
    Sie sagte: »Ich begreife ja, dass wir manche Geheimnisse voreinander haben müssen, Joseph, aber ich finde, Gold wiegt zu schwer, um versteckt zu werden.«
    Sie wartete. Sie dachte an ihre Wäsche, die jetzt wohl gespenstisch im Mondlicht flatterte.
    Nach einer ganzen Weile sagte Joseph: »Es gibt kein Gold.«
    Sie glaubte ihm nicht. Sie sagte: »Aber du suchst doch weiter. Wieso suchst du denn weiter?«
    »Ich … ich habe etwas gesehen, was wie Gold aussah. Ein paar Staubpartikel. Von einem echten Fund hätte ich dir doch erzählt.«
    »Wo ist der Staub?«
    Wieder verkrampfte er sich, und jetzt entzog er ihr seine Hand. »Fortgespült.«
    »All deine Mühe hat dir also nichts eingebracht?«
    »Nein. Nichts. Und inzwischen weiß ich auch, dass ich mich bei meiner Suche hier geirrt habe. Das Gold ist an der Westküste.«
    »Und im Süden, am Arrow-Fluss. Das hat mir jedenfalls Dorothy erzählt.«
    »Am Arrow ist nichts mehr. In ganz Otago ist nichts mehr. Sie sagen, nur noch Chinesen sind da und stochern in den Abraumhalden herum.«
    »Aber wenn es Gold in Otago gab und jetzt an der Westküste, vielleicht ist dann ja auch Gold in unserem Bach. Vielleicht kann man überall in Neuseeland Gold finden?«
    Joseph lag regungslos da und schwieg. Er war hundemüde, wollte nicht ausgefragt werden. Er schloss die Augen und betete darum, dass er einschlief, bevor Harriet noch ein Wort sagte.
    Gerade als er begonnen hatte, sanft zwischen Wachsein und Dunkelheit hin- und herzusegeln, drang ein schwaches Geräusch hinter der Kattunwand an sein Ohr, und er wusste, dassLilian weinte. »Was ist los?«, fragte Joseph, ohne sich zu rühren. Doch niemand antwortete ihm.
II
    Und der Sommer kam.
    Das Tussockgras war weich und glänzend. Die Kuh, die keinen Namen hatte, zockelte über die Hochebene, kaute ununterbrochen und gab reichlich fette, sahnige Milch.
    Als Harriet Schnecken auf ihren ersten Salatköpfen entdeckte, sammelte sie sie in einen Eimer und verfütterte sie an die Schweine, die sie so gierig verschlangen, dass Harriet lächeln musste. Plötzlich fiel ihr auf, dass nicht nur die Schweine, sondern auch alles

Weitere Kostenlose Bücher