Die Farbe der Träume
können, so klar wie heute den brennenden Drachenbaum.
Dies »alles« bezog sich aber nicht nur auf das, was Harriet »die Schönheit der Welt« nannte; es schloss auch das ein, was Joseph heimlich tat.
Sie war unten am Bach gewesen. Im Kies versteckt, hatte sie ihren flachen Topf gefunden. Und sie hatte die Erdhaufen am Ufer gesehen. Dass Joseph glaubte, sie wäre zu dumm, um zu begreifen, was er da trieb, fand sie erstaunlich. Und sie war auch wütend – nicht, weil er in ihrem Bach nach Gold suchte, sondern weil er es auf diese Art tat, unter dem Vorwand, einen Graben zum Teich auszuheben und für die Forellen ein Kiesbett zu schaffen.
Wieso diese Lügen? Hatte er Gold gefunden? Auf der Farm wartete so viel Arbeit, dass nur eine besondere Zufallsentdeckung, die ihm einfach keine Ruhe ließ, Joseph davon hätte abhalten können. Und aus Gründen, die Harriet nicht kannte, die aber vielleicht mit seinem Egoismus zu tun hatten oder mit einer gewissen Neigung zum Lügen , über die er sich wohl selbst nicht im Klaren war, hatte er offenbar beschlossen, alles geheim zu halten.
Die Erdbewegungen am Bach sahen sehr hässlich aus. Sie hatten etwas geradezu Obszönes. Aber während Harriet sie so betrachtete, schien ihr, dass es vielleicht nicht weniger obszön war, wie ihr eigener Verstand und ihr Herz mit Joseph umgingen. Denn Tag um Tag verheimlichte sie ihm ihre fehlende Liebe. Und es wurde immer schlimmer damit. Manchmal war es nicht nur ein Mangel an Liebe, sondern schwärzester Hass. Zwar versuchte sie, ihn vor Joseph zu verbergen, aber womöglich konnte sie das genauso wenig, wie er seine Heimlichtuerei vor ihr verbergen konnte. Sie musste sich nur diese Erdhaufen ansehen. Häufig wachte sie schon beim ersten Tageslicht auf und sah, wie er sie anstarrte, das Gesicht direkt neben ihrem und die Hände in die Laken gekrallt. Wusste er, dass sie ihn nicht liebte? Begriff er nur zu gut, dass sie nur die Wildnis liebte, in die er sie gebracht hatte, nicht aber ihn?
Harriet betrachtete sich im Spiegel. Sie fand, ihr Kopf wirke jetzt, mit abgeschnittenen Haaren, größer, ihre Gesichtszüge schienen ausgeprägter, klarer. Von nun an würde es wohl für Joseph einfacher sein, in ihnen zu lesen.
Nachdem Harriet die Haare zusammengefegt und in den Herd geworfen hatte, begann sie mit der Suche nach der verschwundenen Teedose. Außerdem suchte sie Josephs Gold.
Sie nahm sämtliche Gegenstände in der Küche einzeln aus den Regalen, jeden Topf, jede Dose, jeden Sack, alles Porzellan und alle Gläser, jeden Stapel mit gefalteten Musselintüchern. Aber alles war sauber, trocken, leer und ordentlich, und so packte sie die Dinge wieder an ihren alten Platz. Ratlos blickte sie sich in der Küche um. Ihre Kerze brannte mit gleichmäßiger Flamme. Lady schlief vor dem Kamin.
Sie nahm die Kerze und ging in das Kattunschlafzimmer. Sie legte sich auf den Lehmboden und spähte in die Dunkelheit unter dem Bett. Sie zog ein Paar Stiefel von Joseph darunter hervor und sah, dass getrockneter Matsch vom Bach an ihnen klebte, der mittlerweile eine bläuliche Farbe hatte. Sie langte mit der Hand in die Stiefel und zitterte ein wenig bei der Vorstellung, sie könnte noch einen Rest Wärme von Josephs Füßen darin fühlen. Sie waren leer. Harriet drehte sie um, untersuchte die Lehmkruste, ging mit der Flamme ganz nah an die Sohlen und prüfte, ob irgendein winziges Klümpchen aus gelbem Staub daran haftete. Aber da war nichts, und sie schob sie wieder unters Bett. Dann nahm sie sich die alte Truhe vor, in der Joseph seine wenigen Habseligkeiten aufbewahrte, und öffnete ganz langsam den Deckel.
In diese Truhe hatte sie nie geschaut. Sie wusste, dass Joseph nicht sehr viel nach Neuseeland mitgenommen hatte, nur seine Kleider und seine Bücher und vielleicht ein paar Gegenstände, die seinem Vater gehört hatten. Und da er so wenig besaß, fand sie es auch völlig in Ordnung, dass er dies Wenige wegschloss. Selbst jetzt zögerte Harriet, die Truhe zu durchwühlen. Sie kniete sich auf den Boden und schaute nur rasch, mit der Hand am Deckel, ob sich die Teedose vielleicht darin befand, aber da war sie nicht. Gleichzeitig versuchte sie, sich die exakte Anordnung der Dinge zu merken, damit sie alles herausnehmen und anschließend wieder an dieselbe Stelle legen konnte.
Da waren Josephs Kleidungsstücke mit ihren ausgefransten Taschen und den abgewetzten Kragen. Es gab eine Bibel und ein Gesangbuch, einen Band mit Gedichten von Andrew Marvell,
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