Die Farbe der Träume
einen Schlafplatz bezahlt hatten. Einige hielten schon ihre Lizenz in Händen, andere fühlten sich nicht einmal mehr dieser simplen Transaktion gewachsen. Sie sagten sich, ihr Leben sei momentan stillgelegt, zu gegebener Zeit würde es ein Morgen geben, und sie könnten es wieder aufnehmen, aber nicht jetzt. Jetzt ging es nur um Ruhe und um das Gefühl, festen Boden unter den Füßen zu haben. Sie wuschen sich und aßen eine magere Eintopfmahlzeit und legten sich schlafen. Die Zimmer waren bald voll, und man suchte sich einen Platz auf den Fluren und in den Gemeinschaftsräumen, legte sich, in graue Decken gewickelt, auf dünne Matratzen, und das Schnarchen der Männer klang wie ein verärgertes Knurren ihrer Seelen, die so knapp am Untergang vorbeigesegelt waren.
Joseph lag mitten unter ihnen, konnte aber nicht schlafen. Er hatte zu den Ersten gehört, die in das Büro geeilt waren, um sich ihre Schürflizenz zu kaufen, und jetzt holte er sie aus seiner Tasche und betrachtete sie im Dunkeln. Sie berechtigte ihn dazu, sich einen zweiundzwanzig Quadratmeter großen Claimabzustecken und darauf »für einen Zeitraum von einem Monat« zu arbeiten. Auf dem Papier stand sein Name in feinster Schönschrift: Joseph Blackstone . Das hatte ihn so begeistert, als wäre die Lizenz selbst schon eine Bankobligation von realem Wert. Doch jetzt in der Dunkelheit begriff Joseph, dass sie schon eher so etwas wie ein Los für eine gigantische Lotterie war. Denn niemand wusste genau, wo das Gold zu finden war. Der Greenstone, ein Nebenfluss des Taramakau, hatte sein Gold denen, die zuerst gekommen waren, geschenkt. Als daraufhin dann die Horden erschienen, verschwand das Gold bald, und jetzt galt der Greenstone als »erschöpft«. Niemand hielt sich mehr dort auf außer ein paar Hartgesottenen, die in den hinterlassenen Waschhalden herumstocherten.
Und nun redeten alle von Kaniere am Hokitika, etwa acht Kilometer flussaufwärts, und die meisten der Neuankömmlinge wollten am nächsten Morgen dorthin aufbrechen. Joseph wusste inzwischen, dass der Mensch im Goldrausch zur Motte wird, die ins goldene Licht fliegt. Irgendwann beginnt das Licht jedoch zwangsläufig zu erlöschen, und dann hastet alles blindlings zum nächsten und zum übernächsten, stets voller Hoffnung, aber stets auch in der Erwartung, dass die anschließende Dunkelheit fürchterlich sein würde.
Er stand auf und schlich, in seine Decke gewickelt, zwischen den Schlafenden hindurch, zur Eingangstür des Hotels. Er trat in die schmutzige Straße hinaus und folgte dem Geräusch der brechenden Wellen. Bald landete er am Strand, der übersät war mit grauem Treibholz. Die großen Stücke kamen Joseph wie in ekstatischen oder verzweifelten Haltungen erstarrte Tote vor – als hätte hier auf dem Sand irgendein entsetzlicher Kampf stattgefunden. Am Himmel stand ein halber Mond, in dessen Widerschein die Wellen glitzerten, und Joseph hatte das Gefühl, noch nie in seinem Leben solch einen Ort betreten zu haben. Er spürte förmlich die Energie, die er ausstrahlte.
Auch wenn ein kalter Wind wehte, war er froh, dass er dasHotel verlassen hatte. Er lief am Ufer entlang und sah aufs Wasser und dachte daran, dass er diesen Ozean in einem Schaufelraddampfer überquert und es überlebt hatte. Zu Wind und Wellen sagte er: Lasst dies nicht vergeblich gewesen sein .
Er blieb eine ganze Weile regungslos stehen und suchte sich dann eine geschützte Stelle, machte ein Feuer aus Gras und Zweigen, setzte sich davor und fütterte es so lange mit kleinen grauen Stücken Treibholz, bis die Flamme so groß war, dass sie ihm Wärme spendete.
Dann legte Joseph Blackstone sich, in seine Decke gehüllt, in den Sand und weinte. Er weinte nicht, weil er auf der Wallabi so furchtbar gelitten hatte, er weinte auch nicht, weil er erkannte, dass seine Träume vom Gold ihn an einen Ort geführt hatten, wo er mit leeren Händen dastand, mit nichts als einem wahrscheinlich wertlosen Stück Papier. Er weinte, weil er jetzt – endgültig, so schien es ihm jedenfalls – begriff, dass Rebecca Millward die Person war, die er geliebt, wahrhaftig geliebt hatte, so sehr, wie ein Mensch nur einen anderen Menschen lieben kann. Und während sein Treibholzfeuer prasselte und Funken in den Himmel sprühte, weinte Joseph, weil er wusste, dass er seinen Gefühlen hätte nachgeben, sie respektieren sollen, anstatt sie zu leugnen. Er weinte, weil es zu spät war; er hätte Rebecca heiraten sollen. Aber er hatte sie
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